Eva Menasse

De Oostenrijkse schrijfster Eva Menasse werd geboren op 11 mei 1970 in Wenen. Zij is de halfzus van schrijver Robert Menasse en dochter van voetballer Hans Menasse. Na haar studie germanistiek en geschiedenis werkte ze als redacteur, o.a. voor het Weense tijdschrift Profil en later voor het feuilleton van de Frankfurter Allgemeine Zeitung. Haar eerste boekpublicatie “Der Holocaust vor Gericht” verscheen in 2000. De band bevatte verslagen over het proces van de holocaust-ontkenner David Irving, dat in april 2000 in Londen werd afgesloten. In 2005 verscheen Menasse’s eerste roman “Vienna”. In tal van anekdotes vertelt zij het fictieve verhaal van haar deel katholieke, deel Joodse familie. De destijds in de Frankfurter Allgemeine Zeitung voorgepubliceerde roman werd in de Duitse media overwegend positief beoordeeld, in de Oostenrijkse daarentegen nogal kritisch. In de herfst van 2005 stond hij op de bestseller lijsten in Duitsland en Oostenrijk. Menasse ontving de Rolf-Heyne debuutprijs voor “Vienna”, die al in het Nederlands, Engels, Italiaans, Hebreeuws, Sloveens en Tsjechisch is verschenen. In 2009 verscheen haar verhalenbundel “Lässliche Todsünden”, in 2013 de roman “Quasikristalle”

Uit:Quasikristalle

“Sommerferien. Seit Wochen hatte Judith das Grundstück ihrer Eltern kaum verlassen, den verwilderten Garten, das riesige, baufällige Haus, das ihre kleine Schwester in einer Mischung aus Dreistigkeit und Unschuld unsere Villa nannte. Als Mädchen hatte Judiths Mutter von einem Schlösschen geträumt, und Judiths Vater, der sich gerade mit Verve von seinen Eltern losgesagt hatte, weil sie Nazis gewesen waren und es dennoch wagten, seine junge Frau abzulehnen, war so verliebt und kopflos gewesen, mit geliehenem Geld diese Ruine zu kaufen. Weil sie theoretisch Jugendstil war. Aber seither, seit über vierzehn Jahren, wuchs ihm die Renovierung in hinterhältigen Schritten über den Kopf, als wüsste das Haus genau, dass er sich niemals geschlagen geben würde, und verurteilte ihn, den autodidaktischen Bauarbeiter, daher zu lebenslang.
Die Gewissheit, dass es jemals Schule gegeben hatte, löste sich in der Hitze auf. Die hektischen Überlebenskämpfe kurz vor dem Zeugnis nahmen sich von hier, in der Tiefe des Zeitgrabs, genauso schemenhaft aus wie die Aussicht auf den unvermeidlichen Wiederbeginn im Herbst, für dessen kleine Änderungen (Altgriechisch als neues Fach, die schwangere Mathelehrerin und vielleicht als Sensation ein neuer, gewiss wieder verhaltensgestörter Schüler) Judith nur mühsam Interesse hätte heucheln können. Aber es war ohnehin keiner da.
Xane war, anders als sonst, gleich nach Schulschluss nach Frankreich geschickt worden. Und Claudia verbrachte wie jedes Jahr fast die ganzen Ferien bei ihren Großeltern in einem fernen, westlichen Dorf. Judith und Xane wussten genau, dass ihre Briefe über Langeweile und Sehnsucht verschämte Lügen waren, denn Claudia war die geborene Bäuerin, das sah man schon an ihrem Gesicht. Bei jeder längeren Trennung steigerten sich Judith und Xane in eine Claudia-Verachtung hinein, die es eine Weile unmöglich erscheinen ließ, zu Schulbeginn wieder in die alten Gewohnheiten zu schlüpfen, das heißt, Claudia zum anhaltenden Erstaunen von Lehrern und Mitschülern als gutmütigen, dienstbaren Satelliten mit sich herumzuschleppen. Xane und Judith waren ein Amazonenduo, das sich zu blasiert für den Umgang mit dem Fußvolk gab. Keiner wagte es, sich mit ihnen anzulegen. Was Claudia erwarten würde, wenn sie sie fallen ließen, war nicht ganz klar. Aber vermutlich nichts Angenehmes.
Ein guter Kerl, hatte Xanes Mutter einmal über Claudia gesagt, und seither begannen Xane und Judith ihre kurzen, vergifteten Duette oft mit der Frage: Wie es wohl unserem guten Kerl geht?
Heute war ich mit der Oma in den Schwammerln, würde zum Beispiel die andere piepsig antworten, eine Ansichtskarte von Claudia aus Volksschulzeiten zitierend. Aber da sie älter und boshafter wurden, sagte inzwischen die Erste, wahrscheinlich mistet sie den Stall aus, und die Zweite spann weiter, und wäscht sich nachher die Haare mit Kernseife, woraufhin die eine ergänzte, du meinst, die Schamhaare, und die andere, schon unter gepresstem Gelächter, antwortete, hoffentlich wäscht sie nicht ihrem Opa die Schamhaare mit Kernseife, denn die beiden hatten vor Kurzem, nur auf Basis eines Fotos, befunden, Claudias Großvater sehe aus wie ein Kinderschänder.“

 
Eva Menasse (Wenen, 11 mei 1970)