Petra Morsbach

 

De Duitse schrijfster Petra Morsbach werd geboren op 1 juni 1956 in Zürich als dochter van een ingenieur en een arts. Na haar eindexamen gymnasium in Starnberg in 1975 studeerde zij tot 1981 aan de Ludwig Maximilian Universiteit van München theater, psychologie en Slavische talen en 1981-1982 in Leningrad aan het Theater Instituut regie. In 1983 promoveerde zij in München met een proefschrift over Isaac Babel tot doctor in de wijsbegeerte. Na 10 jaar als dramaturge en regisseur gewerkt te hebben publiceerde zij in 1995 haar eerste roman “Plötzlich ist es Abend”. Sindsdien woont en werkt zij als freelance schrijfster aan de Starnberger See. Veel aandacht trok haar in 2004 verschenen roman “Gottesdiener” over een Beierse priester. Morsbach is eveneens een eigenzinnige essayiste. Haar essaybundel „Warum Fräulein Laura freundlich war. Über die Wahrheit des Erzählens” gaat over het verschijsel dat onze taal meer lijkt te weten dan de mens, en trekt de canonieke lezing van drie beroemde boeken van Alfred Andersch, Marcel Reich-Ranicki en Günter Grass in twijfel. Morsbach is sinds 2004 lid van de Beierse Academie voor Schone Kunsten. In 2013 werd haar gehele literaire werk bekroond met de Beierse literatuurprijs.

Uit: Gottesdiener

“Heute, ausgerechnet am letzten Adventssonntag, hat er einen dummen Fehler gemacht; zumindest sieht es so aus. Nachfragen darf er nicht, also hadert er. Was ist passiert? Er hat nach der Abendmesse Frau Danninger beleidigt, weil er gereizt und müde war. Zwar hat sie ihn herausgefordert, aber er hätte sich nicht herausfordern lassen dürfen. Frau Danninger ist eine emsige Christin, nichts Schlechtes über sie!, aber sie hat ein unheimliches Gespür für alle Empfindlichkeiten ihrer Mitmenschen, da muß sie einfach losbohren, sie kann nicht anders, und dann saugt sie sich fest. Mittags auf der Straße hatte sie ihn auf die nächste Osterwallfahrt angesprochen, geh, fahr ma doch nächstes Jahr nach Konnersreuth! Er, angespannt vor dem Marathon der Weihnachtswoche, wollte erstens überhaupt nicht mit ihr über Ostern sprechen, zweitens nicht von einer Wallfahrt und drittens schon gar nicht von Konnersreuth. Er sagte knapp: »Hier in Bodering kann man genausogut beten!« und ließ sie stehen. Mehrere Adventstermine standen an: Seniorenweihnacht der Freiwilligen Feuerwehr, ein Ministrantengespräch, Stallweihnacht in Zwam mit Ansprache, Abendgottesdienst. Nach dem Abendgottesdienst aber, als er aus der Seitentür der Kirche auf den verschnei- ten Friedhof trat, ist Frau Danninger ihn richtig angesprungen: Warum er nicht zur heiligen Resl will? Ob er was gegen die hätte? Den Raucherkrebs von ihrem Schwager hätt die geheilt, wär das nicht zu ihrer aller Bestem? Er hätte wissen müssen, daß sie nicht locker läßt. Er war nicht geistesgegenwärtig. Er hatte Hunger und wußte, wenn Frau Danninger das Diskutieren anfängt, hört sie nicht wieder auf, also hat er ihr das Wort abgeschnitten: Sie könne jederzeit nach Konnersreuth fahren, er müsse ja nicht mit. Sie sagte, sie wollten aber alle zusammen … »Bei uns ist die Kirch leer!«, schnauzte er. »Wenn Ihr hier keine Gemeinschaft findet, findets in Konnersreuth auch keine!«, und das war der schwerste Fehler: daß er »Ihr« gesagt hat. Auf einmal merkte er nämlich, daß sie Zuhörer hatten. Leute waren stehengeblieben, einige, die schon am Tor gewesen waren, drehten wieder um: Sie lassen sich von Frau Danninger ganz gern unterhalten. Nun standen sie also da in der dunklen, feuchten Kälte, bliesen Atemwolken in die Luft und stampften mit den Füßen. Er musterte die Gruppe rasch: Tatsächlich waren einige notorische Wallfahrer darunter; die schauten verletzt drein. Die anderen hatten sich noch nicht entschlossen, ob sie nur neugierig oder auch vorwurfsvoll sein sollten. Ihm war unbehaglich. Seine Autorität besteht darin, daß sie glauben, er wisse Dinge, die sie nicht wissen und auch nicht wissen wollen; trotzdem oder gerade deshalb aber darf er sie nicht erniedrigen, sonst setzen sie sich zur Wehr, und das ist auch richtig so.“

 

 
Petra Morsbach (Zürich, 1 juni 1956)