De Duitse schrijver Tilman Rammstedt werd geboren op 2 mei 1975 in Bielefeld. Na de middelbare school en vervangende dienstplicht in Bielefeld studeerde Tilman Rammstedt een aantal dingen, vooral filosofie en literatuur, eerst in Edinburgh, toen in Tübingen en Berlijn. Maar nog tijdens zijn masterscriptie over beelden van de oorlog brak hij zijn studie echter af en schreef hij zijn eerste boek, „Erledigungen vor der Feier“ (2003). In voorgaande jaren werkte hij veel met de illustrator Silke Schmidt samen en trad hij op met de kunstenaarsgroep “violett” en “monamur”, o.a. in Berlijn, Zürich en Moskou. 2001-2006 was hij lid van de Lesebühne “Visch &Fersel.” Ramstedt is ook songwriter en muzikant in de groep “Fön”, waarmee hij in 2004, onder het pseudoniem McCoy, de avonturenroman „Mein Leben als Fön“ publiceerde. In 2005 werd zijn roman „Wir bleiben in der Nähe“ gepubliceerd, in 2008 volgde “Der Kaiser von China”. Voor twee stukken van muziektheater ensemble “leitundlause”, geregisseerd door Matthias Rebstock schreef hij de teksten: “Referentinnen. Geschichten aus der zweiten Reihe.” (2008) en “Brachland. Geschichten vom Nichts.” (2010)
Uit: Der Kaiser von China
“Franziska sagte, dass ich sofort kommen solle, sie sagte etwas von Identifizieren, sie sagte etwas von Einäschern, sie sagte etwas von Stammbuch, mich ließ sie dabei kaum zu Wort kommen. “Wie geht es dir?”, fragte ich in eine ihrer seltenen Atempausen hinein. “Wie soll es mir schon gehen”, sagte sie, “beschissen natürlich”, dabei schluckte sie, “Beeil dich”, sagte sie dann noch, bevor sie auflegte, was sie immer sagt und immer auch meint, auch wenn es ihr dann doch nie schnell genug geht, weil es ganz unmöglich ist, sich so zu beeilen, wie Franziska sich das vorstellt, weil niemand so schnell ist wie Franziska, immer wartet sie auf einen, immer dreht sie sich nach einem um, immer beendet sie die Sätze für einen, weil sie nicht nur schneller spricht, sondern auch schneller hört als andere, sie hört Dinge, die noch gar nicht gesagt worden sind, manchmal noch nicht einmal gedacht. Franziska ist immer schon schnell gewesen, sechs aufeinanderfolgende Jahre, so fand ich heraus, war sie Jugendmeisterin im Sprint, das ist alles dokumentiert, von Anfang an ging es ihr nicht rasch genug, zwei volle Monate ist sie zu früh auf die Welt gekommen, lernte dennoch, so zumindest behauptet es ihre Mutter, noch in ihrem ersten Jahr Laufen und Sprechen, Franziska wurde vorzeitig eingeschult, um dann noch zwei Klassen, die sechste und die elfte, zu überspringen; ich habe vergessen, in wie viel Semestern sie ihr Jurastudium absolvierte, es war eine lächerlich kleine Zahl, bei ihrer Mutter hängt ein gerahmter Zeitungsausschnitt (“Im Dauerlauf durchs Examen”, daneben ein Foto, Franziska, die den Fuß auf einen Stapel Gesetzbücher stellt wie auf ein erlegtes Stück Großwild). Ab diesem Zeitpunkt ist wenig gesichert, und sie selbst weicht Fragen aus, anscheinend ging sie in die USA, um zu promovieren, anscheinend arbeitete sie eine Zeit lang für Kanzleien, die, wie sie es ausdrückt, “davon leben, dass jemand einen Finger in seinen Cornflakes findet”, anscheinend bekam sie dann selbst eines Tages Ärger mit der Justiz, “ein Missverständnis”, behauptet sie und lächelt so, dass man ihr nicht glaubt. Franziska spricht nicht gern über ihre Vergangenheit, “Die ist immer schon so lange her”, sagt sie, kneift die Augen ein paarmal zusammen und wechselt das Thema. Bevor Franziska meine Frau wurde, ist sie meine letzte Großmutter gewesen. “Ihr werdet euch jetzt öfter sehen”, hat mein Großvater gesagt, damals, beim ersten gemeinsamen Abendessen mit ihr, bei dem alles stimmen sollte, und tatsächlich, überraschenderweise, alles stimmte. Franziska ging den Tisch entlang, gab reihum jedem von uns die Hand, und wir stellten uns vor. “Keith”, sagte ich, “Echt?”, fragte Franziska, und als ich nickte, strich sie mir Anteil nehmend über den Arm. “Ich werde dich nie so nennen.”
Tilman Rammstedt (Bielefeld, 2. Mai 1975)