Nino Haratischwili

De Georgische schrijfster en regisseuse Nino Haratischwili werd geboren op 8 juni 1983 in Tbilisi. Als tiener richtte Nino Haratischwili het “Seringen Theater” op, een Duits-Georgische theatergroep waarvoor zij in de periode 1998-2003 regelmatig toneelstukken schreef en regisseerde. Na de studie filmregie aan de school voor film en theater in Tbilisi studeerde Haratischwili van 2000 tot 2007 theaterregie aan de Toneelacademie in Hamburg. Als regisseuse is Nino Haratischwili verantwoordelijk voor talloze wereldpremières, o.a. in het Duitse theater Göttingen, Kampnagel Hamburg en in het Thalia Theater. Haar dramatische teksten hebben verschillende prijzen gewonnen. In 2008 ontving ze een van de auteursprijzen van de Heidelberger Stückemarkt. In 2010 ontving zij de Adelbert von Chamisso-prijs. Met haar debuutroman “Juja” (2010) was Haratischwili op de lange lijst van de Duitse Buchpreis en was zij genomineerd voor de ZDF-aspekte-Literaturpreis en won zij in 2011 de debuutprijs van Buddenbrookhaus Lübeck. Haar tweede roman “ Mein sanfter Zwilling” verscheen ook in 2011. In 2014 werd Haratischwilis derde roman gepubliceerd: “Das achte Leben (Für Brilka)”, waarvoor zijvan de Robert Bosch Stiftung een beurs kreeg voot onderzoek in Rusland en Georgië.

Uit Juja

„Warum man sie Olga genannt hatte, hatte sie vergessen. Bis zu dem Tag, an dem Olgas Leben sich katastrophal ändern sollte, war nichts Gravierendes passiert.
Olga hatte ihre Vorlesungen besucht und war dann mit ihrem Hund spazieren gegangen, einem goldenen Spaniel, Lydia. Olga war 23 Jahre alt und ein nettes Mädchen, hatte russische Vorfahren, konnte aber kein Wort Russisch und hieß auch nicht Olga, hatte einen noch durchschnittlicheren Namen, einen westeuropäischen, doch das ist jetzt egal.
Sie war früh aufgestanden, hatte schlecht geschlafen und war zur Uni geradelt, wie immer. Hatte auch ihre Bekannten – richtige Freunde hatte sie kaum, wenn man von einer Freundin absah – nicht sehen können (sie besuchten andere Kurse) und war eher etwas gelangweilt mit Lydia spazieren gegangen. Dann hatte sie in ihrem Lieblingsimbiss gegessen, das hatte sie sich gegönnt, da ja sonst nichts Schönes geschehen war, und war ein bisschen durch die Straßen geschlendert. So kam es, dass sie das Buch fand.
Es war ein netter Nachmittag, und es gab nichts Besseres zu tun. Der Antiquar hatte neu eröffnet und sie ging aus purer Langeweile in seinen Laden hinein.
Zwei ältere Damen standen in der Ecke und plauderten miteinander; vor den Regalen stand ein junger Mann, vertieft in ein Buch. Er sah ganz gut aus und Olga ging instinktiv in seine Richtung, doch als sie sich neben ihn stellte und so tat, als suche sie etwas, legte er das Buch aus der Hand und rannte wie verrückt aus dem Laden.
An der Kasse saß keiner, und niemand schien sein abruptes Verschwinden bemerkt zu haben, niemand außer Olga. Aus irgendeinem Grund versetzte seine Handlung sie in großen Aufruhr, am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen, doch fehlte ihr die Portion Mut, die sie dazu gebraucht hätte. So ergriff sie das Buch, das er so erschrocken zurückgestellt hatte, und begann darin zu blättern.
Klar, es hätte sein können, dass er nur zu einer Verabredung musste und deshalb so schnell aus dem Laden gestürmt war, doch Olga wollte an Abenteuer glauben. Noch lieber wollte sie sich eine unglückliche Liebesgeschichte zusammenreimen. Es hätte ja sein können, dass er unglücklich verliebt war, und nun hatte er das Buch aufgeschlagen und ihre Initialen darin entdeckt. Und so war er zu ihr gerannt, um ihr alles zu beichten, sein Leid, seine Liebe.
Olga nahm das Buch in die Hand. Die alten Damen schienen nichts bemerkt zu haben. Olga schlug das dünne, alte Buch auf und begutachtete die ersten Seiten, doch sie entdeckte keine Initialen. Absolut nichts. Keine getrockneten Rosenblätter, keine handschriftlichen Anmerkungen.“

 

 
Nino Haratischwili (Tbilisi, 8 juni 1983)