Sascha Reh

De Duitse schrijver Sascha Reh werd geboren op 1 juli 1974 in Duisburg. Reh studeerde geschiedenis, filosofie en literatuur in Bochum en Wenen. In 2005 studeerde hij af met een masterscriptie over de geschiedenis van de filmtheorie. Sinds 1999 literaire publiceert hij in verschillende literaire tijdschriften en bloemlezingen. In 2010 verscheen zijn debuutroman “Falscher Frühling”, in 2013 gevolgd door “Gibraltar”. Zijn derde roman “Gegen Die Zeit” werd in 2015 genomineerd voor de Alfred Döblin-prijs en ontving in hetzelfde jaar de Literatuurprijs Ruhrgebiet.
Reh woont en werkt in Berlijn.

Uit: Gibraltar

„Am Automaten der Bank Austria nahe des Schottentors hob Thomas Alberts 200 Euro Bargeld ab und hatte dabei das eigentümliche Gefühl, als würde sich an seinen Einkommensverhältnissen entweder in Kürze etwas ändern oder als sei diese Veränderung, von ihm unbemerkt, bereits eingetreten. Er war kein Kunde dieser Bank, also musste er es fürs Erste bei dem Gefühl bewenden lassen. Sein Telefon klingelte. Es war 12 Uhr. Frau Sudek meldete sich wöchentlich bei ihm, immer dienstags zur selben Zeit, er hätte seine Uhr danach stellen können. Anders als die meisten seiner Klienten arbeitete sie nicht selbst in einer leitenden Position. Mit seinen übrigen Klienten teilte sie jedoch die Überzeugung, seine Telefonberatung eigentlich nur ausnahmsweise in Anspruch nehmen zu müssen, da Menschen ihres Lebensstandards allenfalls solche Probleme zu haben pflegten, mit denen sie selbst fertigwurden. Als »Ratgeber«, wie er sich in seinen Annoncen schlicht nannte, wusste er um die Vermessenheit dieses Selbstkonzepts; seine gesamte Geschäftsstrategie fußte darauf. Und Frau Sudek war in ihrer allzu durchschaubaren Selbstgewissheit eine musterhafte Vertreterin jenes Menschentyps, der es als nicht standesgemäß empfindet, seinen Problemen ins Auge zu blicken, und sie deswegen lieber telefonisch erörtert. Er führte sie unter »selbstunsicher« und »histrionisch«; jede Woche berichtete sie von einem neuen Eheskandal. Eine Geschichte wie diese war jedoch selbst für ihre Verhältnisse unerhört. »Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Diese Kälte. Diese Gleichgültigkeit«, sagte sie. »Seit zwei Jahren führe ich praktisch Selbstgespräche.« Er drückte den Stöpsel seines Headsets etwas tiefer ins Ohr, vergewisserte sich, dass sein Labrador Sol Moscot an seiner Seite lief, und nahm die Rolltreppe an der U-Bahn-Haltestelle Schottentor nach unten, um den Innenstadtring zu unterqueren. Augenblicklich bereute er es. Das Gewimmel der Menschen, das Drängeln der Bettler, die Blicke der Zeitungsverkäufer lenkten ihn ab. Eine Roma-Frau, vielleicht dreißig, mit deutlich vorgealterten Gesichtszügen, ein rotznasiges Mädchen hinter sich herziehend, verstellte ihm stumpfen Blicks den Weg und hielt die Hand auf. Er blieb stehen, suchte nach einem Weg an ihr vorbei, spürte Hitze auf seinen Wangen. Auf sein Telefon deutend versuchte er, an ihr vorbeizugehen. Als sie die Hand erneut und mit erhöhtem Nachdruck nach ihm streckte, wich er zurück; Sol Moscot knurrte. Erst da wurde die Frau auf den Hund aufmerksam und gab den Weg frei. Schnell ging Thomas weiter und klopfte gegen seinen Oberschenkel. Sol Moscot folgte sofort. »Ich habe mich bei einer Agentur angemeldet«, fuhr Frau Sudek fort. »Die vermitteln Seitensprünge.« Sie ließ das letzte Wort in der Leitung nachzittern. »Ich wollte … ich weiß nicht. Ich war so wütend.« Er zog in Betracht, etwas Verständnisvolles zu sagen, über ihre Wut oder auch ihre Verzweiflung, dann entschied er sich dagegen. Sie lachte, wie über sich selbst.“


Sascha Reh (Duisburg, 1 juli 1974)

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