De Spaanse schrijver Antonio Muñoz Molina werd geboren op 10 januari 1956 in Úbeda in de provincie Jaén. Zie ook alle tags voor Antonio Muñoz Molina op dit blog.
Uit: Die Nacht der Erinnerungen (Vertaald doorWilli Zurbrüggen)
„Ich habe ihn immer deutlicher gesehen, wie er aus dem Nichts auftauchte, aus dem Nirgendwo kommend wie aus einem Gedankenblitz heraus, mit dem Koffer in der Hand und ermüdet vom Hinaufeilen der von den schrägen Schatten der Marmorsäulen schraffierten Treppe, benommen von der maßlosen Weite, in die er eintritt und in der rechtzeitig seinen Zug finden zu können er sich nicht ganz sicher ist. Ich habe ihn unter all den anderen erkannt, unter denen er nicht auffällt in seinem dunklen Anzug, dem gleichfalls dunklen Regenmantel und Hut. Seine Kleidung ist europäischen Schnitts und für die Stadt und die Jahreszeit vielleicht etwas zu formell, genau wie der Koffer in seiner Hand, solide und teuer, aus Leder, doch ziemlich abgenutzt schon nach all dem Reisen, mit Aufklebern von Hotels und Reedereien, mit Kreideresten von Zollabfertigungen; ein Koffer, der schwer in seiner vom Umklammern des Tragegriffs schmerzenden Hand hängt und für eine so lange Reise dennoch unzureichend scheint. Mit der Präzision eines Polizeiberichts oder eines Traums nehme ich alle Einzelheiten der Wirklichkeit wahr.
Ich sehe sie in dem Moment vor mir auftauchen und Gestalt annehmen, als Ignacio Abel mitten im Geschiebe der Menge einen Augenblick stehen bleibt und sich umdreht wie einer, der gehört hat, dass man seinen Namen ruft. Vielleicht hat ihn jemand gesehen und sagt oder ruft seinen Namen, um über dem Tumult gehört zu werden, der von Marmorwänden und Eisengewölben widerhallt, über dem tönenden Wirrwarr von Stimmen, Schritten, kreischenden Lokomotiven, vibrierenden Böden, dem blechernen Echo der Lautsprecherdurchsagen und den Rufen der Zeitungsverkäufer, die die Abendblätter feilbieten. Ich erforsche seine Gedanken genauso wie seine Taschen und das Innere seines Koffers. Ignacio Abel betrachtet die Titelseiten der Zeitungen stets in der Erwartung und der Furcht, eine Schlagzeile zu lesen, in der das Wort Spanien, das Wort Krieg oder der Name Madrid auftaucht.“
Antonio Muñoz Molina (Úbeda, 10 januari 1956)