De Tsjechische, Duitstalige schrijver en vertaler Jan Faktor werd geboren op 3 november 1951 in Praag. Zowel de moeder van Jan Faktor, Františka Factorová, als zijn grootmoeder waren overlevenden van de Duitse Jodenvervolging in bezet Tsjechoslowakije. Nadat de Praagse Lente was onderdrukt, woonde Factor twee jaar in de Hoge Tatra. Vanaf 1973 werkte hij als systeembeheerder en programmeur bij een datacenter in Praag. Jan Factor trouwde met de auteur en psychoanalyticus Annette Simon, een dochter van Christa Wolf. Ze verhuisden allebei in 1978 naar Oost-Berlijn, waar hij werkte als slotenmaker werkte en in een kleuterschool. Hij raakte al vroeg betrokken bij de underground literaire scene van Oost-Berlijn. In het jaar van de verandering, 1989, was Factor medewerker van de nieuwsbrief “Neue Forum” en later medewerker van de krant “Die Andere”. Zijn roman “Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag” werd in 2010 genomineerd voor de Preis der Leipziger Buchmesse en stond op de shortlist voor de Deutsche Buchpreis. Voor zijn roman “Trottel” ontving hij de Wilhelm Raabe Literatuurprijs.
Uit: Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag
„Die ersten Sorgen um meinen Penis machte ich mir schon vor etwa fünfzig Jahren im Kindergarten damals nur aus rein hygienischen Gründen. Um mit der Penisspitze nicht die Klobrille oder sogar die Innenseite der Schüssel zu berühren, griff ich beim Pinkeln mit der Hand zwischen meine Schenkel und drückte meinen Apparat senkrecht nach unten. Damit wollte ich gleichzeitig verhindern, daß der Urinstrahl durch den Spalt unterhalb der Klobrille meine heruntergelassene Hose benäßte.Was machst du da? fragten dann die Erzieherinnen, die die Zufluchtsorte der Aufsässigen häufig kontrollierten.
– Nichts, nichts weiter.
Offenbar konnte ich meine Lippen und meinen Unterkiefer gerade frei bewegen. Man klebte mir den Mund nur an den Tagen mit Klebeband zu, an denen ich ununterbrochen redete und nicht anders zu stoppen war. Das papierene Klebeband wurde von den Erzieherinnen immer großzügig angeleckt, und ich mußte den Mund fest verschlossen halten, um die Feuchtigkeitslinie meiner Lippen vor der klebrigen Fremdspucke zu schützen. Bald spürte ich schon, wie der Klebestreifen trocknete, sich zusammenzog und meinen Mund ein bißchen kleiner machte. Dazu muß man wissen: Wir die Kleinen wie die Großen lebten damals in Prag, ohne darunter sonderlich zu leiden, in einer totalitären Gesellschaft.
Wenn ich mir meinen Penis heute ansehe und mich kurz konzentriere, bekomme ich umgehend das Gefühl, daß es sich um ein ästhetisches Gebilde handelt. Er sieht schön aus, etliche Details im Eichelbereich finde ich sogar wunderschön. Seine Ästhetik entdeckte ich allerdings erst relativ spät, etwa ein Jahrzehnt nach seinem Erwachsenwerden, etwa dreizehn Jahre nach seiner späten Beschneidung, die meine Mutter nicht mehr aus nächster Nähe verfolgen, nicht mehr liebend begleiten konnte. Meine Mutter badete und pflegte mich in meiner Kindheit mit großer Inbrunst, strahlte dabei jedesmal intensiv als ob sie mich gerade frisch geboren hätte. Daß ich in die Länge wuchs und immer großflächiger gesäubert und gepflegt werden mußte, störte sie überhaupt nicht. Wenn eines Tages der strenge Tantenrat nicht eingeschritten wäre, hätte meine Mutter sicher weitergemacht und ich hätte mich heute als Mutters Pflegefall präsentieren können.
Wie man sich dank dieser kleinen Information denken kann, war ich Mutters einziges Kind. Es ist aber nicht die ganze Wahrheit: Ich hatte um mich herum mehrere mütterliche Wesen zur Auswahl und war auf meine Mutter nicht unbedingt angewiesen. Sie fiel als Bezugsperson sowieso öfter aus. Aber sie liebte mich trotz ihrer häufigen Depressionen und trotz meiner Widerspenstigkeit über alles, und ich versuchte später, ihre Liebe mit allen Mitteln weiterzugeben.“