De Italiaanse schrijver Umberto Eco werd geboren op 5 januari 1932 in Allasandria. Zie ook alle tags voor Umberto Eco op dit blog.
Uit: Baudolino (Vertaald door Burkhart Kroeber)
“In jenen Tagen des Wartens, Kyrios Niketas, war ich von gegensätzlichen Gefühlen beherrscht. Ich brannte vor Begierde, sie wiederzusehen, ich fürchtete, sie nie wiederzusehen, ich sah sie umstellt von tausend Gefahren, mit einem Wort, ich machte alle Gefühle durch, die zur Liebe gehören, nur nicht die Eifersucht.”
“Hast du nicht daran gedacht, daß die Große Mutter sie gerade jetzt zu den Befruchtern schicken könnte?”
“Ein solcher Zweifel ist mir nie gekommen. Vielleicht dachte ich, weil ich wußte, wie sehr ich inzwischen der ihre war, sie sei in solchem Grade die meine, daß sie es ablehnen würde, sich von anderen berühren zu lassen. Ich habe lange darüber nachgedacht, hinterher, und bin zu dem Schluß gekommen, daß vollkommene Liebe keinen Platz für Eifersucht läßt. Eifersucht ist Verdacht, Furcht und Verleumdung zwischen Liebenden, und der Apostel Johannes hat gesagt, daß die vollkommene Liebe alle Furcht vertreibt. Ich empfand keine Eifersucht, aber ich versuchte ständig, mir ihr Gesicht vor Augen zu halten, und es gelang mir nicht. Ich erinnerte mich an das, was ich empfunden hatte, wenn ich sie ansah, aber ich konnte sie mir nicht vorstellen. Dabei tat ich während unserer Begegnungen nichts anderes, als sie unverwandt anzusehen . . .”
“Ich habe gelesen, daß es heftig Liebenden so ergeht . . .”, sagte Niketas mit der Verlegenheit dessen, der eine so überwältigende Leidenschaft nie selber erfahren hat. “Ist es dir bei Beatrix und bei Colandrina nicht so ergangen?”
“Nein, nicht in dem Maße, daß es mich so hätte leiden lassen. Ich glaube, bei Beatrix habe ich vor allem die Idee der Liebe kultiviert, ich brauchte kein reales Gesicht, und außerdem hätte ich es als Sakrileg empfunden, mir ihre körperlichen Züge vorzustellen. Was Colandrina betraf, so ist mir klargeworden – nachdem ich Hypatia kennengelernt hatte -, daß es bei ihr keine Leidenschaft war, sondern eher Freude, Zärtlichkeit, innigste Zuneigung, wie ich sie, Gott vergebe mir, für eine Tochter oder eine kleine Schwester hätte empfinden können.“
Umberto Eco (Allasandria, 5 januari 1932)