Dolce far niente, Clara Müller-Jahnke, Andreï Makine, Franz Werfel, Paweł Huelle, Mary Oliver

 

Dolce far niente

 

 
Beach Scene door Aiden Lassell Ripley, ca. 1935

 

Spätsommer am Strand

Da weht von Süd ein sanfter Hauch
aus sonnenlichten Tagen;
die goldbelaubten Äste dehnt
der Ahorn voll Behagen.
Kein Vogelsang, – kein Blütenduft, –
die weiche, warme Sommerluft
säuselt in allen Hagen.

Nun schaun sich schier verwundert an
die schweigenden Zypressen;
es ist, als habe der flüchtige Lenz
sein Lebewohl vergessen
und ginge noch einmal über das Feld,
die blasse, sommermüde Welt
an seine Brust zu pressen.

Durch nackte Zweige schweift der Blick
auf graue Wellenpfade:
die weißen Wasser tummeln sich
am träumenden Gestade;
sie flüstern und raunen wie Liebesgruß,
sie kosen und spielen um deinen Fuß,
leuchten und locken zum Bade.

 

 
Clara Müller-Jahnke (5 februari 1860 – 4 november 1905)
Lenzen (Nu: Łęczno). De kerk is een monument gewijd aan de dorpelingen die in WO I zijn omgekomen. Clara Müller – Jahnke werd geboren in Lenzen

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De Franse schrijver van Russische afkomst Andreï Makine werd geboren in Krasnojarsk op 10 september 1957. Zie ook alle tags voor Andreï Makine op dit blog.

Uit: Die Frau vom Weißen Meer (Vertaald door Holger Fock und Sabine Müller)

“Ich dachte an ihr Lächeln, an das Winken, mit dem sie mich grüßte, wenn sie mich von weitem am Seeufer sah, an die Liebe, die sie so vielen Männern hätte schenken können und die sie keinem gab. »Eine Frau, die so sehr zum Glück bestimmt war …«
Ja, ich war ziemlich stolz auf meine Analyse. Ich erinnerte mich sogar, dass ein Kritiker im neunzehnten Jahrhundert von der Dialektik der Seele gesprochen hatte und damit jene Kunst bezeichnete, mit der Schriftsteller die Widersprüche der menschlichen Psyche ergründen. »… eine Frau, die zum Glück bestimmt war, die aber …«
An jenem Septemberabend klappte ich mein Notizbuch zu und betrachtete eine Handvoll kalter, gesprenkelter Heidelbeeren, die Vera auf meinem Tisch verstreut hatte, während ich weg war. Im Fenster stand der Himmel über den dunklen Kronen des Waldes und erinnerte mit seiner milchigen Blässe an das einige Wegstunden entfernt schlummernde Weiße Meer, das bereits auf den Winter wartete. Von Veras Haus führte ein Pfad durch Dickicht und über Hügel zur Küste. Ich dachte daran, wie einsam diese Frau war, wie sie in sich ruhte, ich stellte mir ihren Körper vor (ich spürte ganz körperlich die wohlige Wärme, in die diese Frau sich in einer klaren Frostnacht unter der Bettdecke eingesponnen hatte), und da begriffich plötzlich, dass keine Dialektik der Seele das Geheimnis dieses Lebens ausdrücken konnte. Dass dieses Leben für solche gelehrten Analysen viel zu eindeutig und auf schmerzliche Weise einfach war.
Das Leben einer Frau, die immer auf den Mann gewartet hat, den sie liebte. Ohne jedes Geheimnis.“

 

 
Andreï Makine (Krasnojarsk, 10 september 1957)
Cover

 

De Oostenrijkse dichter en schrijver Franz Werfel werd op 10 september 1890 in Praag geboren. Zie ook alle tags voor Franz Werfel op dit blog.

Uit: Lied der Bernadette

„Der Kaiser geleitet Eugénie in ihre Zimmer zurück, ohne ein Wort mehr zu verlieren.

Der Tag verläuft für ihn äußerst unbehaglich. Dieses schöne Weib besitzt eine unwiderstehliche Kraft, ihn in Unruhe zu versetzen. Sie wird kalt und immer kälter und schließlich so eisig, daß man vor ihr nach Paris fliehen möchte. Auch hat man einiges andere auf dem Kerbholz, das sie einem an solch einem Tage zu fühlen gibt. Man hat keine Freude am Bad. Man kann nicht recht arbeiten. Man kann nicht einmal die schöne Mitternachtsstunde schöpferischer Einsamkeit genießen. Am bedenklichsten aber ist der Stachel, den die Rede des Weibes im Herzen des Mannes zurückgelassen hat. Eugénie ist im Recht. Sie darf ihr Gelübde nicht brechen. Und er darf es auch nicht brechen, obwohl er’s gar nicht geleistet hat. Welche Macht auch immer hinter den Erscheinungen und Heilungen von Lourdes stehe, sie kann dieselbe Macht sein, die hinter der Weltgeschichte steht und somit auch hinter dem italienischen Unternehmen.
Nichtige Knirpse haben es leicht, Freidenker zu sein. Was riskieren sie dabei? Darf es aber der größte Monarch des Erdballs wagen, um die Freidenker nicht zu verstimmen, jene tausendfach reizbarere Macht zu verstimmen, die über Sieg und Niederlage der Nationen entscheidet? Schon solche kalten Überlegungen sind unvorsichtig, denkt der Kaiser, zwischen seinen Arbeitstischen spazierend, denn wer kann wissen, ob jener Macht, die überschwengliche Hingabe fordert, diese listigen Überlegungen verborgen sind? Wer Akten schmiert oder Waren verschleißt, kann sich ohne Schwierigkeiten über den Aberglauben lustig machen. Wer die Welt beherrscht, weiß aus täglicher Erfahrung, daß es in ihr nicht mit rechten Dingen zugeht, daß die Verquickungen der Geschehnisse nicht von ihm abhängen, daß er ein Spielball geheimer Kräfte und Gegenkräfte ist, die nach Anbetung und Opfer verlangen und immer wieder verlockt oder ausgesöhnt werden müssen. Ob die Kugel eines Attentäters trifft oder nicht, das hängt weniger von der Ballistik ab als von jenen Mächten, mögen sie ein dreieiniger Gott sein oder der Wille der Gestirne. Nur ein Herrscher erlebt es, wie sehr er außerhalb des erkannten Naturgesetzes steht, das heißt, inmitten des Wunders. Darum ist der Glaube der Könige und der Gewaltigen seit eh und je der Aberglaube …“

 

 
Franz Werfel (10 september 1890 – 26 augustus 1945)
Scene uit de Amerikaanse film “The Song of Bernadette” uit 1943 

 

De Poolse schrijver Paweł Huelle werd geboren op 10 september 1957 in Gdańsk. Zie ook alle tags voor Pawel Huelle op dit blog.

Uit: The Last Supper (Vertaald door Antonia Lloyd-Jones)

“A draught came gusting through the studio, and dozens of sheets of paper were caught up by the wind, whirling between the walls and ceiling before finally coming to land on the floor like a flock of gulls.
“Should someone who calls themselves an engineer be preaching on the subject of art?” Mateusz was standing at the basin, washing the blood from his face. “I know it’s a sign of the times: the city, the machine, the proletariat, but does it have to go that far?”
I was listening to him and not listening all at once. I was holding a sheet of paper on which a system of circles and parallel lines formed something shaped like a Christmas tree.
“Oh, that’s the Kabbalah!” said Mateusz, distinctly cheering up. “At the top you’ve got the Crown, and right at the bottom the Kingdom!”
He opened another bottle of wine and, as if nothing had happened, gave me an introduction to this arcane knowledge.
“The Pillar of Balance is the most important one,” he said, “but even more curious is the fact that before He made the world God must have had to shrink Himself for there to be enough room. You see? For there to be enough room! But why did you tell the Engineer God isn’t there? Don’t you believe in Him? Maybe you’re an atheist?”
The conversation would probably have proved extremely interesting, if it weren’t for the fact that just then three policemen entered the studio. Who called them? Mr and Mrs Zielenko, of course. They lived underneath the studio, and their crude, secretive nature was utterly offended by having to live next door to artists. Resettled here straight from the countryside, they only had one hobby: more or less once a week, whenever they heard anything louder than the patter of mice or saw something that surpassed their imagination, they called the police.”

 

 
Paweł Huelle (Gdańsk, 10 september 1957)

 

De Amerikaanse dichteres Mary Oliver werd geboren op 10 september 1936 in Maple Heights, Ohio. Zie ook alle tags voor Mary Oliver op dit blog.

 

Bone

1.
Understand, I am always trying to figure out
what the soul is,
and where hidden,
and what shape
and so, last week,
when I found on the beach
the ear bone
of a pilot whale that may have died
hundreds of years ago, I thought
maybe I was close
to discovering something
for the ear bone

2.
is the portion that lasts longest
in any of us, man or whale; shaped
like a squat spoon
with a pink scoop where
once, in the lively swimmer’s head,
it joined its two sisters
in the house of hearing,
it was only
two inches long
and thought: the soul
might be like this
so hard, so necessary

 

 
Mary Oliver (Maple Heights, 10 september 1935)
In 2000 

 

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