Lutz Seiler

De Duitse schrijver Lutz Seiler werd geboren op 8 juni 1963 in Gera. Na een opleiding als bouwvakker, werkte hij als metselaar en timmerman. Gedurende de periode van militaire dienst in de NVA raakte hij geïnteresseerd in literatuur en in het zelf schrijven van gedichten. Tot 1990 studeerde hij Duits aan de universiteiten van Halle (Saale) en Berlijn. Van 1993 tot 1998 was hij redacteur van het literaire tijdschrift “Moosbrand”. Sinds 1997 is hij hoofd van het literaire programma in het Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst. Sinds 2005 is hij lid van het PEN Centrum Duitsland, sinds April 2007 een volwaardig lid van de Academie van Wetenschappen en Letteren, Mainz, en sinds 2010 van de Beierse Academie voor Schone Kunsten. In 2007 ontving Seiler voor zijn verhaal “Turksib” de Ingeborg Bachmann-prijs. Zijn verhalenbundel “Die Zeitwaage” werd in 2010 genomineerd voor de Prijs van de Leipziger Buchmesse.

Uit: Turksib

“Die Stöße der Gleise waren jetzt stärker und kamen unregelmäßig; mit ausgestreckten Armen hielt ich mich zwischen den Wänden der winzigen Kabine. Aus dem kotbespritzten Stahlpott dröhnte ein metallisches Winseln und Fauchen herauf, in dem sich ab und zu auch ein Gelächter Luft zu machen schien, das irgendwo im Abgrund, im Schotter des Bahndamms hocken mußte und mir wie ein verächtliches Semeysemey in den Ohren hallte. Lange konnte ich nicht mehr bleiben, ohne bei meiner Rückkehr etwas erklären zu müssen, das sich im Mund der Übersetzerin sofort verdoppeln und in den Kommentaren des Konsuls verzehnfachen würde.
Selbst in diesem Land war es, soviel ich inzwischen wußte, nicht verboten, einen Geigerzähler zu besitzen, im Gegenteil: Die europäischen Reiseführer empfahlen es, vor allem als ein Mittel zur Beruhigung des Reisenden, da, wie man mitteilte, die meßbaren Werte in den allermeisten Gebieten längst wieder unter den zulässigen Grenzen lägen. Ich hatte nie an den Erwerb solcher Technik gedacht oder auch nur an die Möglichkeit ihres privaten Besitzes geglaubt. Um so kostbarer und eigener erschienen mir jetzt das graugrüne, schon etwas abgegriffene Kästchen und die Umstände, unter denen ich es von einem der vermummten Händler, die vor Abfahrt des Zuges den Bahnsteig mit ihren Waren seltsamster Art blockierten, erstanden hatte. Fast alles, was mir dort als „Suhweniehrr!“ entgegengestreckt worden war, schien aus den Asservaten und Effektenkammern eines in vollständiger Auflösung begriffenen Reiches und seiner Armee zu stammen. Aber auch dunkle Berge von Fleisch, Tierhäuten, Rosinen, Brot und Nüssen hatte ich gesehen, die in halb geschlossenen Kinderwagen und oft im Dauerlauf über den schneebedeckten Bahnsteig geschoben wurden, hart bis unter die stählernen Tritte der Waggons. Am Ende kam niemand umhin, für irgend etwas zu bezahlen; der Zähler war mein Einlaß in den Zug gewesen.
Es hatte mit dem feinen Knattern, seinem Knister- und Schleifgeräusch zu tun, das er verhalten, aber stetig absonderte. Wenn ich ihn näher an mein Ohr brachte, war es mal eine Art melodisches Kratzen, dann wieder ein Schnarren und Wispern, das schwach wie eine dünne Gegenstimme im Fahrtlärm schwebte und jederzeit davon verschlungen zu werden drohte – augenblicklich schossen mir ein paar Tränen über die Wangen. Alle Widrigkeiten meiner winterlichen Reise verblaßten vor dem, was die Stimme des Zählers mir offenbar mitteilen wollte.“

 
Lutz Seiler (Gera, 8 juni 1963)