Deutscher Buchpreis 2019 voor Saša Stanišić

Deutscher Buchpreis 2019 voor Saša Stanišić

De Bosnisch-Duitse schrijver Saša Stanišić is de winnaar van de van de Deutscher Buchpreis. Hij krijgt de prijs voor zijn roman  „Herkunft“. Volgens de jury is “Saša Stanišić is zo’n goede verteller dat hij het vertellen zelfs wantrouwt. Onder elke zin in deze roman ligt de onbereikbare oorsprong, die tegelijkertijd de drijvende kracht achter het vertellen is. Het is alleen beschikbaar als fragment, als fictie en als een spel met de mogelijkheden van de geschiedenis. De auteur veredelt de lezers met zijn grote verbeeldingskracht en bevrijdt hen van de conventies van chronologie, realisme en formele duidelijkheid.” Saša Stanišić werd geboren op 7 maart 1978 in Višegrad, Bosnië en Herzegovina. Zie ook alle tags voor Saša Stanišić op dit blog.

Uit: Herkunft

„Am 7. März 1978 wurde ich in Visegrád an der Drina geboren. In den Tagen vor meiner Geburt hatte es ununterbrochen geregnet. Der März in Visegrád ist der verhassteste Monat, weinerlich und gefährlich. Im Gebirge schmilzt der Schnee, die Flüsse wachsen den Ufern über den Kopf. Auch meine Drina ist nervös. Die halbe Stadt steht unter Wasser. Im März 1978 war es nicht anders. Als bei Mutter die Wehen anfingen, brüllte ein heftiger Sturm über der Stadt. Der Wind bog die Fenster vom Kreißsaal und brachte Ge-fühle durcheinander, und mitten in einer Wehe schlug auch noch der Blitz ein, dass alle dachten, aha, soso, jetzt also kommt der Teufel in die Welt. So unrecht war mir das nicht, ist doch ganz gut, wenn Leute ein bisschen Angst haben vor dir, bevor es überhaupt losgeht. Nur gab all das meiner Mutter nicht unbedingt ein positives Gefühl, den Geburtsverlauf betreffend, und da die Heb-amme mit der gegenwärtigen Situation ebenfalls nicht zufrieden sein konnte, Stichwort Komplikationen, schickte sie nach der diensthabenden Ärztin. Die wollte, so wie ich jetzt, die Geschichte nicht unnötig verlängern. Es reicht vielleicht zu sagen, dass die Komplikationen mithilfe einer Saugglocke vereinfacht wurden. Dreißig Jahre später, im März 2008, musste ich zum Erlangen der deutschen Staatsbürgerschaft unter anderem einen handgeschriebenen Lebenslauf bei der Ausländerbehörde ein-reichen. Riesenstress! Beim ersten Versuch brachte ich nichts zu Papier, außer dass ich am 7. März 1978 geboren worden war. Es kam mir vor, als sei danach nichts mehr gekommen, als sei meine Biografie von der Drina weggespült worden. Die Deutschen mögen Tabellen. Ich legte eine Tabelle an. Trug auch ein paar Daten und Infos ein — Besuch der Grundschule in Visegrád, Studium der Slavistik in Heidelberg —, es kam mir jedoch vor, als hätte das nichts mit mir zu tun. Ich wusste, die Angaben waren korrekt, konnte sie aber unmöglich stehen lassen. Ich vertraute so einem Leben nicht. Ich setzte neu an. Schrieb wieder das Datum meiner Geburt und schilderte den Regen und dass mir Großmutter Kristina meinen Namen gegeben hat, die Mutter meines Vaters. Sie kümmerte sich auch in den ersten Jahren meines Lebens viel um mich, da meine Eltern studiert haben (Mutter) beziehungsweise berufstätig waren (Vater). Sie war bei der Mafia, schrieb ich der Ausländerbehörde, und bei der Mafia hat man viel Zeit für Kinder. Ich lebte bei ihr und Großvater, am Wochenende bei den Eltern. Ich schrieb der Ausländerbehörde: Mein Großvater Pero war mit Herz und Parteibuch Kommunist und nahm mich mit auf Spaziergänge mit den Genossen. Wenn sie über die Politik sprachen, und das taten sie eigentlich immer, schlief ich super ein. Mit vier konnte ich mitreden. Ich radierte das mit der Mafia wieder aus, man weiß ja nie. Ich schrieb stattdessen: Meine Großmutter besaß ein Nudelholz, mit dem sie mir stets Prügel androhte. Es kam nicht dazu, ich habe aber bis heute ein reserviertes Verhältnis zu Nudelhölzern und indirekt auch zu Teigwaren.“

 

Saša Stanišić (Višegrad, 7 maart 1978)

Saša Stanišić

De Bosnisch-Duitse schrijver Saša Stanišić werd geboren op 7 maart 1978 in Višegrad, Bosnië en Herzegovina, als zoon van een Bosnische moeder en een Servische vader. In het voorjaar van 1992 vluchtte hij samen met zijn gezin naar Duitsland als vluchteling voor de oorlog in Bosnië. Stanišić bracht de rest van zijn jeugd door in Heidelberg, waar zijn leraren zijn passie voor schrijven aanmoedigden. Nadat hij de middelbare school had afgerond, schreef hij zich in aan de Universiteit van Heidelberg, waar hij afstudeerde met diploma’s in Slavische studies en Duits als tweede taal. In 2006 bracht Stanišić zijn debuutroman “Wie der Soldat das Grammofon repariert“ uit. Het boek heeft meerdere prijzen gewonnen, zowel in Duitsland als in het buitenland, en is sinds 2019 in 31 talen vertaald. De Engelse vertaling van Anthea Bell werd bekroond met de Oxford-Weidenfeld Translation Prize. Het werd ook voor het podium bewerkt door het Stadtschauspielhaus Graz, waar Stanišić in 2006-2007 de schrijver-in-residence van de stad was. In 2019 won hij de Deutscher Buchpreis voor zijn roman “Herkunft”. In zijn dankwoord uitte Stanišić zijn ongenoegen over het besluit van het Nobelcomité om de Nobelprijs voor Literatuur 2019 toe te kennen aan de Oostenrijkse auteur Peter Handke. Stanišić bekritiseerde Handke vanwege zijn steun aan Slobodan Milošević en zei: “Ik had het geluk te ontsnappen aan datgene wat Peter Handke niet in zijn teksten beschrijft.”

Uit: Wie der Soldat das Grammofon repariert

„Opa Slavko maß meinen Kopf mit Omas Wäschestrick aus, ich bekam einen Zauberhut, einen spitzen Zauberhut aus Kartonpapier, und Opa Slavko sagte: eigentlich bin ich noch zu jung für so einen Quatsch und du schon zu alt. Ich bekam einen Zauberhut mit gelben und blauen Sternen, sie zogen gelbe und blaue Schweife, dazu schnippelte ich ei-ne kleine Mondsichel und zwei Dreiecksraketen aus, eine flog Gagarin, die andere Opa Slavko. Opa, mit dem Hut lasse ich mich nirgendwo blicken! Das will ich hoffen! Am Morgen des Tages, an dessen Abend er starb, schnitzte mir Opa Slavko aus einem Ast den Zauberstab und sagte: im Hut und im Stab steckt eine Zauberkraft, trägst du den Hut und schwingst du den Stab, wirst du der mächtigste Fähigkeitenzauberer der blockfreien Staaten sein. Vieles wirst du revolutionieren können, solange es mit den Ideen von Tito konform geht und in Übereinstimmung mit den Statuten des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens steht. Ich zweifelte an der Zauberei, aber ich hatte keine Zweifel an meinem Opa. Die wertvollste Gabe ist die Erfindung, der größte Reichtum die Fantasie. Merk dir das, Aleksandar, sagte Opa ernst, als er mir den Hut aufsetzte, merk dir das und denk dir die Welt schöner aus. Er übergab mir den Stab. Ich zweifelte an nichts mehr.Es ist üblich, dass man hin und wieder wegen der Verstorbenen traurig wird. Bei uns findet das statt, wenn Sonntag, Regen, Kaffee und Oma Katarina zusammenkommen. Oma schlürft dann aus ihrer Lieblingstasse, der weißen mit dem Sprung im Griff, weint und erinnert sich an alle Toten und an die guten Dinge, die sie gemacht haben, bevor ihnen das Sterben dazwischenkam. Heute sind Familie und Freunde bei Oma, weil wir uns an Opa Slavko erinnern, der seit zwei Tagen vorläufig tot ist, so lange, bis ich meinen Zauberstab und meinen Hut wiederfinde. Noch nicht gestorben in meiner Familie sind Mutter, Vater und Vaters Brüder — Onkel Bora und Onkel Miki. Nena Fatima, die Mutter meiner Mutter, hält sich noch gut, bei ihr sind nur die Ohren und die Zunge gestorben — sie ist taub wie eine Kanone und stumm wie Schneefall. Sagt man. Tante Gordana ist auch noch nicht gestorben, sie ist Onkel Boras Frau und schwanger. Tante Gordana, eine blonde Insel im dunklen Haarmeer unserer Familie, wird von allen Taifun genannt, weil sie viermal lebendiger lebt als normale Menschen und achtmal schneller läuft und vierzehnmal hektischer redet. Sie legt selbst die Strecke von der Kloschüssel zum Waschbecken im Sprint zurück und hat an der Ladenkasse alles ausgerechnet, bevor es die Kassiererin eintippen kann. Alle sind wegen Opa Slavkos Tod zu Oma gekommen, reden aber über das Leben in Tante Taifuns Bauch. Niemand zweifelt daran, dass Tante ihr Baby spätestens am Sonntag, maxi-mal am Montag bekommen wird, Monate zu früh, aber schon fertig wie im neunten. Ich schlage vor, das Baby Speedy Gonzales zu nennen. Tante Taifun schüttelt ihre blonden Locken: sindwirmexikaner? Wirdnmädchenkeinemausl Emawirdsieheißen.“

 

Saša Stanišić (Višegrad, 7 maart 1978)