Deutscher Buchpreis 2023 voor Tonio Schachinger

Deutscher Buchpreis 2023 voor Tonio Schachinger

De Oostenrijkse schrijver Tonio Schachinger is de winnaar van de Deutscher Buchpreis. Hij krijgt de prijs voor zijn tweede roman “Echtzeitalter”. Het werk speelt zich af op een elitaire Weense kostschool en gaat over de 15-jarige Till, die na de dood van zijn vader zijn toevlucht zoekt in de wereld van computerspellen, vooral “Age of Empires II”. De jury prees “Echtzeitalter” als een ‘sociale roman’ en benadrukte onder meer de subtiele ironie waarmee Schachinger ‘de politieke en sociale omstandigheden van het heden’ weerspiegelt. Tonio Schachinger werd geboren op 29 januari 1992 in New Delhi, India. Zie ook alle tags voor Tonio Schachinger op dit blog.

Uit: Echtzeitalter

„Sieht man diesen Ort zum ersten Mal, das Schloss mit der schönbrunnergelben Fassade und der abbröckelnden graugelben Rückseite, den Park mit seinen Wiesen und Sportplätzen, seinem bewaldeten Hügel und seiner Grotte, dann ist die Mauer, die ihn umgibt und deren Höhe je nach Steigung der Argentinier- und Favoritenstraße zwischen zwei und vier Metern schwankt, wahrscheinlich das Letzte, was einem auffällt. Warum sollte man auch an die Mauer denken beim Tag der offenen Tür? Die Kinder sehen ja so viel anderes, die Tennis- und Beachvolleyballplätze, das Hallenbad, den Parkettturnsaal, die Multifunktionshalle, die Sala terrena und, wenn sie ihren Blick nach unten auf die eigenen Füße richten, den Steinboden, dessen große Platten über die Jahrhunderte von Tausenden Schlapfen glatt geschliffen wurden. Außerdem zeigt man den Kindern die Fußballplätze, die zwei Flutcourts, den Hartplatz, den Firsty-Platz und vor allem den Großen Platz, der auf allen Fotos abgebildet ist und dem Park, gemeinsam mit der ihn umgebenden Laufbahn, etwas Offizielles, etwas Highschoolhaftes verleiht, auch wenn sie nach dem Tag der offenen Tür nie wieder dort spielen werden, weil der Große Platz Gegenstand eines seit Jahren andauernden Rechtsstreits ist, dem mit dem Hinweis: Platz gesperrt, Betreten auf eigene Gefahr! Rechnung getragen wird. Von alldem wissen die zukünftigen Marianisten noch nichts. Man erzählt ihnen vom Fremdsprachenangebot, von Schulreisen, Austauschprogrammen, sogenannten Unverbindlichen Übungen, in denen die Schüler jeder denkbaren Leidenschaft von Schach über Skifahren bis Aquaristik nachgehen können, aber man zeigt ihnen nicht die Stelle beim Konferenzzimmer, an der trotz einer zusätzlichen Schicht Farbe noch immer der Name des ehemaligen Erziehungsleiters durchscheint, begleitet von den Worten: du Kinderticker! Den Firsty-Platz zeigt man ihnen zwar, aber ohne zu erklären, was das ist, ein Firsty, was es bald für jeden von ihnen bedeuten wird, von Älteren als Firsty behandelt zu werden, ein ganzes Jahr lang, und dass sie selbst sich gegen alle Vorsätze in diese nach Alter gegliederte Nahrungskette einfügen und schon ein Jahr später den neuen Firstys gegenüber genauso verhalten werden: Weil sie anderen nicht ersparen wollen, was ihnen nicht erspart geblieben ist. Der Waldplatz ist nicht einmal Teil der Tour, dieser hinterste und schlechteste aller Fußballplätze, der keine Banden und keine Netze hat, in dessen Mitte ein einzelner Baum steht, der gleichzeitig aber auch der beste Platz ist, weil man sich nirgendwo sonst auf dem Schulgelände weiter von allem anderen entfernen kann und weil direkt dahinter, beim Theater Akzent, in Sichtweite der Nuntiatur, der päpstlichen Botschaft, die beste Stelle liegt, um über die Mauer zu klettern.“

 

Tonio Schachinger (New Dehli, 29 januari 1992)

Deutscher Buchpreis 2022 voor Kim de l’Horizon

Deutscher Buchpreis 2022 voor Kim de l’Horizon

De Zwitserse, genderfluïde niet-binaire dichter en schrijver Kim de l’Horizon is de winnaar van de Deutscher Buchpreis. Hij ontvangt de prijs voor zijn debuutroman “Blutbuch”. De jury van de boekenprijs oordeelde: «Met enorme creatieve energie zoekt het non-binaire verhalende personage uit Kim de l’Horizons roman Book of Blood naar zijn eigen taal. […] Welke verhalen zijn er voor een lichaam dat conventionele ideeën over gender tart? […] Elke poging tot taal, van de sculpturale scène tot de essay-achtige memoires, ontwikkelt een urgentie en literaire vernieuwing die de jury provoceerde en inspireerde.» Zie ook alle tags voor Kim de l’Horizon op dit blog.

Uit: Blutbuch

„Wir sprachen nie darüber, ob es für andere Familien auch so anstrengend ist, so zu tun, als wären sie wie die anderen Familien, wir sprachen nie über Normalität, nie über Heteronormativität, Queemess, wir sprachen nie über Klasse, die sogenannte »Dritte« Welt und die geheimen Geflechte der Pilze, die viel grösser und feiner sind als in unserer Vorstellung, wir sprachen nie über all die Wege, die diese Welt bereithält, die sie uns bereithält, um vor uns selbst davonzulaufen, die gewundenen Wege, die im Schatten grosser Pappeln liegenden Wege, die öden, endlosen Wege, die diese Welt umspinnen, wie ein Faden einen Fadenknäuel umspinnt, aber wir sprachen über die Wege, die alle zusammen »Jakobsweg« heissen.
Vor einigen Wochen sassen wir auf dem Sofa, du hast mir eines der Fotoalben gezeigt. Ich habe mich gezwungen, dasselbe Interesse vorzutäuschen wie die letzten zehn Male, als du mir dieselben Fotos mit denselben Kommentaren erläutert hast. Wir schauten uns ein Foto deiner Mutter an, auf dem sie schwanger mit dir ist, ein Foto, das mich die ersten Male überrascht hat, weil da einfach eine nackte Frau zu sehen ist, in einem kleinbürgerlichen Familienalbum von 1935. Plötzlich hast du deinen Redefluss unterbrochen, mich angeschaut und gefragt: »Warum bist du eigentlich nie da?«
Ich sitze hier an meinem Schreibtisch in Zürich, ich bin sechsundzwanzig, es wird langsam dunkel, es ist einer dieser Abende, die noch Winterabende sind, während mensch schon eine Vorahnung von Frühling riecht, ein samtiger Geruch: von Bodnant-Schneeballblüten, übertrieben süss und weissrosa; von Menschen, die wieder beginnen zu joggen und ihren Schweiss durch die viel zu sauberen Strassen tragen. Ich jogge nicht. Ich sitze hier und kaue meine Fingernägel, trotz des Ecrinal-Bitternagellacks, ich kaue, bis der weisse Rand abgekaut ist und noch weiter, ich dränge den weissen Rand beständig nach hinten. Vor einem halben Jahr habe ich diesen ultralangweiligen Job im Staatsarchiv angenommen, ich stecke den ganzen Tag zwischen Regalen tief unter der Erde, katalogisiere Krankenakten längst verstorbener Patientinnen, ich spreche mit niemenschem, bin zufrieden, bin unsichtbar, lasse meine Haare wachsen, gehe nach Hause und setze mich hierhin, an meinen Schreibtisch, von wo aus ich die Buche im Nachbargarten sehen kann, von wo aus mir die Erinnerungen an die Blutbuche kommen, unsere Blutbuche, die grosse, rotlaubige Buche in der Mitte unseres Gartens. Ich schreibe. Wenn meine Freundinnen Dina und Mo, die auch irgendwo sitzen und schreiben, mir schreiben: »Kommst du was trinken?«, dann schreibe ich nicht zurück. Ich versuche zu schreiben, und wenn ich nicht schreiben kann, wenn ich im Wattenmeer der Vergangenheit versinke, dann rasiere ich mich, dusche und fahre mit dem Fahrrad in die Aussenbereiche der Stadt, in die Aussenröcke, wie die Engländerinnen sagen, ich suche die Tankstellen und Fussballplätze ab, ich tigere vor den Gyms auf und ab, die Grindr-App ist meine bleiche Fackel in der Nacht der Agglomeration, sie weist mir den Weg zu den Männern, die ich suche, die ich brauche, die ich mich brauchen lasse, von denen ich mir hinter dem Fahrradhäuschen den Rock hochschieben lasse und die ich sich in mich hineinschieben lasse, schnell und gefühllos, ich habe ja genug Gefühle, ich brauche nicht noch mehr davon, ich brauche endlich mal einen harten cut von ihnen.“

 

Kim de l’Horizon (Ostermundigen, 9 mei 1992)

Deutscher Buchpreis 2021 voor Antje Rávic Strubel

Deutscher Buchpreis 2021 voor Antje Rávic Strubel

De winnares van de Deutscher Buchpreis 2021 is Antje Rávic Strubel. Zij krijgt deze prijs voor haar roman “Blaue Frau”, het verhaal van een vrouw die na een verkrachting haar weg terug moet vinden in het denken en in de taal. De Duitse schrijfster Antje Rávic Strubel werd geboren op 12 april 1974 in Potsdam. Zie ook alle tags voor Antje Rávic Strubel op dit blog.

Uit: Blaue Frau

„Jede Nacht sind die Autos zu hören. Das Rauschen der Autos auf den dreispurigen Straßen und das Rascheln der Blätter am Vogelbeerbaum.
Das sind die Geräusche.
Sie dringen durch das Fenster herein, das einen Spaltbreit geöffnet ist. Das Meer hört man nicht. Die Ostsee, die im Süden liegt, jenseits der Plattenbauten, in einer Bucht mit verschilften Ufern, die im Winter schnell zufrieren wird.
Peitschenlampen säumen die Wege. Nachts fällt ihr bleiches Licht auf den Bordstein und auf den Balkon der kleinen Wohnung, der zur Straße zeigt. Die metallenen Lampenschirme schwanken im Wind. Das Schlafzimmer zeigt zum Hof, wo es einen Spielplatz gibt, einen Verschlag für die Fahrräder und den Vogelbeerbaum.
Die Wände der Wohnung sind weiß und leer bis auf den Spiegel im Flur. In der Küche hängen zwei Postkarten über der Spüle. Auf der einen Karte fahren gelbe Taxis durch eine Straßenschlucht in New York. Auf der anderen, einer Schwarzweißaufnahme, sitzen zwei Frauen in einem Pariser Straßencafé.
Sie tragen Glockenhüte aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts und elegante Röcke.
Das sind die Bilder.
Die Blumentöpfe im Metallregal auf dem Balkon sind unbenutzt. Spinnweben haben sich dort verbreitet. Die Spinnen leben noch. Es ist September.
Am Horizont, wo Lagerhallen und ein riesiger Sendemast die Reihen der Plattenbauten begrenzen, türmen sich Wolkenberge auf. Der Sendemast ist der einzige Orientierungspunkt in den identischen Straßen.
Niemand weiß, wo sie ist.
Die Wanduhr zeigt halb drei. Das silberne Zifferblatt stellt den Weltatlas dar. Einen Sekundenzeiger gibt es nicht, nur ein kleines rotes Flugzeug, das die silberne Welt umrundet. Jede Weltumrundung dauert bloß eine Minute, und doch sieht es langsam, fast gemächlich aus. Ein Schatten fliegt unter dem Flugzeug mit und ist ihm manchmal ein kleines Stück voraus, je nachdem, wie der Lichteinfall ihn auf die glänzende Erde wirft.
Sie könnte überall sein.“

 

Antje Rávic Strubel (Potsdam, 12 april 1974)

Deutscher Buchpreis 2020 voor Anne Weber

Deutscher Buchpreis 2020 voor Anne Weber

De winnares van de Deutscher Buchpreis 2020 is Anne Weber. Zij krijgt deze prijs voor haar roman in verzen “Annette, ein Heldinnenepos”. De Duitse schrijfster en vertaalster Anne Weber werd geboren op 13 november 1964 in Offenbach am Main. Zie ook alle tags voor Anne Weber op dit blog.

Uit: Annette, ein Heldinnenepos

“Anne Beaumanoir ist einer ihrer Namen.
Es gibt sie, ja, es gibt sie auch woanders als auf
diesen Seiten, und zwar in Dieulefit, auf Deutsch
Gott-hats-gemacht, im Süden Frankreichs.
Sie glaubt nicht an Gott, aber er an sie.
Falls es ihn gibt, so hat er sie gemacht.
Sie ist sehr alt, und wie es das Erzählen will,
ist sie zugleich noch ungeboren. Heute,
da sie fünfundneunzig ist, kommt sie
auf diesem weißen Blatt zur Welt –
in eine undurchdringliche Leere, in die sie
lange runde Maulwurf blicke wirft und die sich
nach und nach mit Formen und mit Farben,
mit Vater Mutter Himmel Wasser Erde füllt.
Himmel und Erde sind bleibende Erscheinungen,
das Wasser aber kommt und geht, es strömt
ins trockne Bett des Flusses Arguenon, wo es
zweimal am Tag die Boote aufrichtet, die schon seit
Stunden auf der Flanke liegen. Zweimal am Tag
zieht sichs ins Meer zurück, Ärmelkanal
nennt man es hier, auch kurz La Manche, Der
Ärmel, obwohl es kein Kanal und auch kein Ärmel ist,
nichts Hohles also, eher schon ein Arm: der
Meeresarm, den der Atlantik zur
Nordsee rüberstreckt. Sachte legen sich die
Boote wieder seitlich auf den Bauch.

Im All des Zimmers, dem noch unbewohnten,
schwimmen vier und auch manchmal sechs
glänzende Gestirne oder Augen. Wie in der Dunkelkammer
langsam Konturen aus dem Nichts aufsteigen,
beginnen sich um die Gestirne
Gesichter abzuzeichnen. Mutter. Großmutter.
Vater. Das Kind, das Anne heißt und alle
Annette nennen (sprich Annett) bringt diese
Planeten zum Kreisen.

Von Annette ist Anne (die Heutige) dem Alter nach
doppelt so weit entfernt, wie ihre
Großmutter es damals war, aber irgendwo
erstaunlich fern und nah
gibt es noch dieses Kind. Es ist eins mit ihr,
ist nicht verkümmert und nicht tot, es schläft,
es ist noch da.”

 

Anne Weber (Offenbach am Main, 13 november 1964)

Deutscher Buchpreis 2019 voor Saša Stanišić

Deutscher Buchpreis 2019 voor Saša Stanišić

De Bosnisch-Duitse schrijver Saša Stanišić is de winnaar van de van de Deutscher Buchpreis. Hij krijgt de prijs voor zijn roman  „Herkunft“. Volgens de jury is “Saša Stanišić is zo’n goede verteller dat hij het vertellen zelfs wantrouwt. Onder elke zin in deze roman ligt de onbereikbare oorsprong, die tegelijkertijd de drijvende kracht achter het vertellen is. Het is alleen beschikbaar als fragment, als fictie en als een spel met de mogelijkheden van de geschiedenis. De auteur veredelt de lezers met zijn grote verbeeldingskracht en bevrijdt hen van de conventies van chronologie, realisme en formele duidelijkheid.” Saša Stanišić werd geboren op 7 maart 1978 in Višegrad, Bosnië en Herzegovina. Zie ook alle tags voor Saša Stanišić op dit blog.

Uit: Herkunft

„Am 7. März 1978 wurde ich in Visegrád an der Drina geboren. In den Tagen vor meiner Geburt hatte es ununterbrochen geregnet. Der März in Visegrád ist der verhassteste Monat, weinerlich und gefährlich. Im Gebirge schmilzt der Schnee, die Flüsse wachsen den Ufern über den Kopf. Auch meine Drina ist nervös. Die halbe Stadt steht unter Wasser. Im März 1978 war es nicht anders. Als bei Mutter die Wehen anfingen, brüllte ein heftiger Sturm über der Stadt. Der Wind bog die Fenster vom Kreißsaal und brachte Ge-fühle durcheinander, und mitten in einer Wehe schlug auch noch der Blitz ein, dass alle dachten, aha, soso, jetzt also kommt der Teufel in die Welt. So unrecht war mir das nicht, ist doch ganz gut, wenn Leute ein bisschen Angst haben vor dir, bevor es überhaupt losgeht. Nur gab all das meiner Mutter nicht unbedingt ein positives Gefühl, den Geburtsverlauf betreffend, und da die Heb-amme mit der gegenwärtigen Situation ebenfalls nicht zufrieden sein konnte, Stichwort Komplikationen, schickte sie nach der diensthabenden Ärztin. Die wollte, so wie ich jetzt, die Geschichte nicht unnötig verlängern. Es reicht vielleicht zu sagen, dass die Komplikationen mithilfe einer Saugglocke vereinfacht wurden. Dreißig Jahre später, im März 2008, musste ich zum Erlangen der deutschen Staatsbürgerschaft unter anderem einen handgeschriebenen Lebenslauf bei der Ausländerbehörde ein-reichen. Riesenstress! Beim ersten Versuch brachte ich nichts zu Papier, außer dass ich am 7. März 1978 geboren worden war. Es kam mir vor, als sei danach nichts mehr gekommen, als sei meine Biografie von der Drina weggespült worden. Die Deutschen mögen Tabellen. Ich legte eine Tabelle an. Trug auch ein paar Daten und Infos ein — Besuch der Grundschule in Visegrád, Studium der Slavistik in Heidelberg —, es kam mir jedoch vor, als hätte das nichts mit mir zu tun. Ich wusste, die Angaben waren korrekt, konnte sie aber unmöglich stehen lassen. Ich vertraute so einem Leben nicht. Ich setzte neu an. Schrieb wieder das Datum meiner Geburt und schilderte den Regen und dass mir Großmutter Kristina meinen Namen gegeben hat, die Mutter meines Vaters. Sie kümmerte sich auch in den ersten Jahren meines Lebens viel um mich, da meine Eltern studiert haben (Mutter) beziehungsweise berufstätig waren (Vater). Sie war bei der Mafia, schrieb ich der Ausländerbehörde, und bei der Mafia hat man viel Zeit für Kinder. Ich lebte bei ihr und Großvater, am Wochenende bei den Eltern. Ich schrieb der Ausländerbehörde: Mein Großvater Pero war mit Herz und Parteibuch Kommunist und nahm mich mit auf Spaziergänge mit den Genossen. Wenn sie über die Politik sprachen, und das taten sie eigentlich immer, schlief ich super ein. Mit vier konnte ich mitreden. Ich radierte das mit der Mafia wieder aus, man weiß ja nie. Ich schrieb stattdessen: Meine Großmutter besaß ein Nudelholz, mit dem sie mir stets Prügel androhte. Es kam nicht dazu, ich habe aber bis heute ein reserviertes Verhältnis zu Nudelhölzern und indirekt auch zu Teigwaren.“

 

Saša Stanišić (Višegrad, 7 maart 1978)

Deutscher Buchpreis 2018 voor Inger-Maria Mahlke

Deutscher Buchpreis 2018 voor de romanArchipel” van Inger-Maria Mahlke

De winnares van de Deutscher Buchpreis 2018 is Inger-Maria Mahlke. Zij krijgt deze prijs voor haar roman “Archipel”.

De Duitse schrijfster Inger-Maria Mahlke werd geboren in 1977 in Hamburg en groeide op in Lübeck. Zij studeerde vervolgens rechten aan de FU in Berlijn, waar ze werkte bij de afdeling Criminologie. In 2005 nam ze deel aan een auteursworkshop met Herta Müller, in 2008 in het auteursatelier van de Jürgen Ponto Stichting en in 2009 in de auteursworkshop van het literaire colloquium Berlijn. In hetzelfde jaar won ze de 17e Open Mike. Aan het tweede deel van haar debuutroman “Silberfischchen” schreef ze 16 uur per dag van januari tot maart 2010. In 2012 verscheen haar tweede roman “Rechnung offen”, in 2015 gevolgd door “Wie Ihr wollt”. In 2010 won Inger-Maria Mahlke de Klaus-Michael Kühne-Preis des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg, die voor de eerste keer werd uitgereikt en waarmee een bedrag van 5.000 euro verbonden is. De redenering luidt: Mahlke woont in Berlijn. Zij is lid van het PEN-centrum Duitsland. Op voorstel van Burkhard Spinnen nam Mahlke deel aan de prijsvraag voor de Ingeborg Bachmann-prijs 2012 en ontving zij de Ernst Willner-prijs. In 2014 ontving ze een van de zeventien beurzen voor schrijvers van de Kulturverwaltung des Berliner Senats en de Karl Arnold-prijs van de Academie voor Wetenschappen en Kunsten Noordrijn-Westfalen. In 2017 was Mahlke zeven maanden stadschrijfster van Magdeburg.

Uit: Archipel

“Es ist der 9. Juli 2015, vierzehn Uhr und zwei, drei kleinliche Minuten, in La Laguna, der alten Hauptstadt des Archipels, beträgt die Lufttemperatur 29,1 Grad, um siebzehn Uhr siebenundzwanzig wird sie mit 31,3 Grad ihr Tagesmaximum erreichen. Der Himmel ist klar, wolkenlos und so hellblau, dass er auch weiß sein könnte. Der Besuch der Ausstellung ist Anas Idee. Felipe hat nur eingewilligt, weil er seine Ruhe haben will, Rosa hat nur eingewilligt, weil sie ihre Ruhe will. Zwei Wochen ist das her, Ana hat am Tresen gesessen, gefrühstückt, die Post vom Nichtsowichtig-Stapel geöffnet, die beiden anderen sind zufällig in der Küche. Rosa, weil sie nicht genug süße Kondensmilch in ihren Kaffee getan hat, und Felipe, weil er eine Schere sucht. Wofür, will er nicht sagen. Ana nimmt einen Umschlag, liest laut: «80 Jahre surrealistische Konferenz von Santa Cruz.» Rosa beobachtet die Öffnung der Milchflasche, an der sich ein zäher, nur langsam dicker werdender weißlicher Tropfen sammelt, aber nicht fällt. Felipe schließt die Besteckschublade so, dass alles aneinanderstößt und -klirrt und es danach sehr still ist und er zu Ana hinüberblickt, nachsehen, ob sie wütend wird. Ana spießt ein Stück Papaya auf, steckt es in den Mund, zieht die Karte aus dem Umschlag, liest erneut: «80 Jahre surrealistische Konferenz von Santa Cruz … Lasst uns da hingehen», sagt sie. Felipe zieht stumm die nächste Schublade auf, Rosa schüttelt die Flasche, damit die Kondensmilch endlich herausrinnt und sie in ihr Zimmer zur zehnten Staffel Survivor, fünfte oder sechste Folge, zurückkann. Jeff Probst, der Moderator, hat gerade den Rettungshubschrauber gerufen, ein Teilnehmer hat sich beim Wettkampf – wer stößt den anderen zuerst von einem schmalen Steg ins Wasser – an der Schulter verletzt. Ana liest weiter: «1935 besuchte der berühmte Surrealist André Breton», sieht zu Rosa hinüber, unsicher, ob sie den Namen richtig ausgesprochen hat. Für Kunst ist Felipe zuständig, ich habe Verwaltungswissenschaften studiert, leitet Ana ihre seltenen Äußerungen zu dem Thema ein, und falls die beiden glauben, sie würde nicht bemerken, welche Blicke sie einander zuwerfen, wenn Ana erwähnt, sie habe irgendetwas schön gefunden, dann irren sie sich. Rosa rührt in der Tasse, betrachtet den weißen, schnell schmelzenden Hügel auf der Löffelspitze, rührt erneut, probiert den Kaffee, wünscht, ihre Mutter wäre endlich ruhig. Einfach rausgehen würde Diskussionen bedeuten, sie wartet, bis Ana wenigstens nicht mehr zu ihr guckt beim Lesen. «… die Konferenz der Surrealisten im Kreis der schönen Künste in Santa Cruz de Tenerife. Zum Gedenken an dieses Ereignis …» Rosa stößt gegen Felipe, der vor der Spüle kniet, den Mülleimer neben sich auf den Küchenfliesen.”

 
Inger-Maria Mahlke (Hamburg, 1977)

Deutscher Buchpreis 2017 voor Robert Menasse

Deutscher Buchpreis 2017 voor Robert Menasse

De Oostenrijkse schrijver Robert Menasse ontvangt de Duitse Boekprijs 2017 voor de roman “Die Hauptstadt”. Dit werd op maandagavond in Frankfurt door de Börsenverein der Deutschen Buchhandels bij de opening van de Frankfurter Buchmesse bekendgemaakt. In de roman staat een hoge EU-ambtenaar voor de taak om het imago van de Commissie te verbeteren. Het feit dat dit uitstekend in Auschwitz moet gebeuren, is een van de vele curieuze wendingen in deze roman, waarin de Brusselse bureaucratie op de korrel wordt genomen. Robert Menasse werd geboren op 21 juni 1954 in Wenen. Zie ook alle tags voor Robert Menasse op dit blog.

Uit: Die Hauptstadt

„Da läuft ein Schwein! David de Vriend sah es, als er ein Fenster des Wohnzimmers öffnete, um noch ein letztes Mal den Blick über den Platz schweifen zu lassen, bevor er dieseWohnung für immer verließ. Er war kein sentimentaler Mensch. Er hatte sechzig Jahre hier gewohnt, sechzig Jahre lang auf diesen Platz geschaut, und jetzt schloss er damit ab. Das war alles. Das war sein Lieblingssatz – wann immer er etwas erzählen, berichten, bezeugen sollte, sagte er zwei oder drei Sätze und dann: »Das war alles.« Dieser Satz war für ihn die einzig legitime Zusammenfassung von jedem Moment oder Abschnitt seines Lebens. Die Umzugsfirma hatte die paar Habseligkeiten abgeholt, die er an die neue Adresse mitnahm.
Habseligkeiten – ein merkwürdiges Wort, das aber keine Wirkung auf ihn hatte. Dann sind die Männer von der Entrümpelungsfirma gekommen, um alles Übrige wegzuschaffen, nicht nur was nicht niet- und nagelfest war, sondern auch die Nieten und Nägel, sie rissen heraus, zerlegten, transportierten ab, bis die Wohnung »besenrein« war, wie man das nannte. De Vriend hatte sich einen Kaffee gemacht, solange der Herd noch da war und seine Espressomaschine da stand, den Männern zugeschaut, darauf achtend, ihnen nicht imWeg zu stehen, noch lange hatte er die leere Kaffeetasse in der Hand gehalten, sie schließlich in einen Müllsack fallen lassen. Dann waren die Männer fort, die Wohnung leer. Besenrein. Das war alles. Noch ein letzter Blick aus dem Fenster. Es gab da unten nichts, was er nicht kannte, und nun musste er ausziehen, weil eine andere Zeit gekommen war – und jetzt sah er … tatsächlich: Da unten war ein Schwein! Mitten in Brüssel, in Sainte-Catherine. Es musste von der Rue de la Braie gekommen sein, lief den Bauzaun vor dem Haus entlang, de Vriend beugte sich aus dem Fenster und sah, wie das Schwein nun rechts an der Ecke zur Rue du VieuxMarché aux Grains, einigen Passanten ausweichend, beinahe vor ein Taxi lief.
Kai-Uwe Frigge, von der Notbremsung nach vorn geworfen, fiel in den Sitz zurück. Er verzog das Gesicht. Er kamzu spät. Er war genervt.Was war jetzt wieder los? Er war nicht wirklich zu spät, es war nur so, dass er bei einem Treffen immer Wert darauf legte, zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit da zu sein, vor allem an Regentagen, um sich auf der Toilette noch schnell wieder in Ordnung zu bringen, das regennasse Haar, die beschlagene Brille, bevor die Person kam, mit der er verabredet war –„

 
Robert Menasse (Wenen, 21 juni 1954)

Deutscher Buchpreis 2016 voor Bodo Kirchhoff

De Duitse schrijver Bodo Kirchhoff heeft de Deutscher Buchppreis 2016 gewonnen voor zijn novelle “Widerfahrnis”. Kirchhoff beschrijft de gemeenschappelijke spontane autorit naar Sicilië van een gepensioneerde boekhandelaar en een ook al wat oudere schrijfster, die hij toevallig ontmoet. Tijdens de reis leren zij niet alleen leren elkaar beter kennen, maar worden zij ook geconfronteerd met de Europese vluchtelingencrisis, Bodo Kirchhoff werd geboren op 6 juli 1948 in Hamburg. Zie ook alle tags voor Bodo Kirchhoff op dit blog.

Uit:Widerfahrnis

“Diese Geschichte, die ihm noch immer das Herz zerreißt, wie man sagt, auch wenn er es nicht sagen würde, nur hier ausnahmsweise, womit hätte er sie begonnen? Vielleicht mit den Schritten vor seiner Tür und den Zweifeln, ob das überhaupt Schritte waren oder nur wieder etwas aus einer Unruhe in ihm, seit er nicht mehr das Chaos von anderen verbesserte, bis daraus ein Buch wurde. Also: Waren das Schritte, abends nach neun, wenn hier im Tal schon die Lichter ausgingen, oder war da etwas mit ihm? Und dann käme die Zigarette, die er sich angesteckt hatte; wenn nämlich sein ewiges Metallfeuerzeug aufschnappte, beendete das Geräusch jeden Spuk, auch den von innen. Und mit der Zigarette im Mund holte Reither – genau an der Stelle hätte er den Namen eingeführt – eine Flasche von dem apulischen Roten aus einem Karton im Flur, die vorletzte. Der Wein um diese Stunde, das friedliche Laster, das einen entfernt von der Welt, all ihrem Elend, selbst was vor der eigenen Tür geschieht, muss man nicht wissen.
Ja, das waren Schritte. Als würde dort wer, nachdenklich, auf und ab gehen. Reither holte noch seinen Korkenzieher und kniete sich damit im Wohnzimmer auf den Boden, weil dort erstens der Aschenbecher war und zweitens ein Buch lag, das er am frühen Abend entdeckt hatte.
Aber eigentlich folgte er nur der Gewohnheit, Dinge, in die man sich hineinknien sollte, auch im Knien zu tun, wie noch im letzten Jahr in seinem Kleinstverlag, wenn er Entwürfe für neue Umschläge auf dem Parkett ausgebreitet hatte – auf einem Tisch bekam man keinen Blick für
das Ganze, vom Bildschirm gar nicht zu reden. Und auch eins der wenigen Fotos von sich, die er gelten ließ, zeigt ihn kniend und mit Zigarette im Mund, beobachtet von einer Frau, wobei nur ihre Beine zu sehen sind. Alles an ihm ist zielgerichtet, der zu Boden gestreckte Arm, die
im selben Winkel abwärtszeigende Zigarette, das von der Nase diktierte Profil unter noch dichtem Haar, der Blick auf das eigene Tun, mit dem Daumen etwas anzubringen an einem verrotteten Schild, das er als Umschlagmotiv gewählt hat und an das er noch letzte Hand anlegt, wie an jedes seiner Bücher in über dreißig Jahren, bis damit Schluss war.“

 
Bodo Kirchhoff (Hamburg, 6 juli 1948)

Deutscher Buchpreis 2015 voor Frank Witzel

Deutscher Buchppreis voor Frank Witzel

De Duitse schrijver Frank Witzel heeft verrassend de Deutscher Buchppreis gewonnen voor zijn roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969“ Dat meldt de organisatie. Het verhaal speelt zich af in de oude Bondsrepubliek in de periode na de Tweede Wereldoorlog. De auteur beschrijft een reeks episoden vanuit de ogen van een 13-jarig kind in Wiesbaden.Zie ook alle tags voor Frank Witzel op dit blog.

Uit: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

“Es ist ein verschneiter Tag im Januar. Ich stehe auf einem schmalen und verschneiten Hügel, schaue in ein verschlafenes und ebenfalls verschneites Dorf, das unterhalb des Hügels liegt und versuche, mich zu erinnern wie es war, dort unten in einer kaum möblierten und ungeheizten Wohnung zweieinhalb Monate zuzubringen, in einem Haus, das eher einem Schuppen ähnelte, dicht neben einem Bach, der halb zufror in diesem Winter vor so vielen Jahren. Ich stehe auf dem Hügel und schaue meinem gefrorenen Atem hinterher und dem Eichelhäher, der kurz auf einem der verschneiten Äste aufsetzt und dann in den grauen Himmel fliegt und hinter der nächsten Kuppe verschwindet.
Die Landstraße schlängelt sich wie auf einer Kinderzeichnung vom grauweißen Horizont zu dem Feld vor meinen Füßen. Und da kommt auch schon ein Auto angefahren. Es ist kein Ferrari 250 GT 12 Zylinder 4 Takt Hubraum 2953 cm³ mit 240 PS und 230 Stundenkilometern, noch nicht mal ein Porsche 501 6 Zylinder 4 Takt Hubraum 1995 cm³ mit 120 PS und 200 Kilometern, son-dern nur ein NSU Prinz 2 Zylinder 4 Takt 578 cm³ mit 30 PS, der gerade mal 120 macht, mit Rückenwind, und hier geht es bergauf, raus aus dem verschneiten Dorf, und ich habe noch nicht mal den Mopedführerschein, und Claudia brüllt und Bernd schreit, ich soll mich weiter rechts halten, damit uns die Bullen in den Kurven aus den Augen verlieren, aber das ist gar nicht so leicht, denn unser NSU Prinz hat hinten schlecht aufgepumpte Reifen, sodass ich kaum die Balance halten kann. Trotzdem liegen wir ein ganzes Stück vorn. Hinter uns die Bullen mit ihrem vollbesetzten Mannschaftswagen VW T2 fangen an zu ballern. Die Kugeln schlagen in die Schneewehen und springen vom Straßenasphalt gegen den zitronengelben Lack der Kotflügel. Claudia kramt im Handschuhfach nach einer Waffe. Die ist nicht geladen, sage ich. Wie, nicht geladen? Kein Wasser drin. Wasser? Das ist meine Wasserpistole. Sag mal, spinnst du? schreit Bernd. Wo ist denn die Erbsenpistole? Vergessen, aber die Wasserpistole ist echt gut, die hat vorne einen Ring, da kannst du um die Ecke schießen. Ihr seid Spinner, vollkommene Spinner, ich denk, ihr habt euch das Luftgewehr von Achim geliehen. Der war nicht da, nur seine Oma, und die wollte es nicht rausrücken. Pass auf! Ich schlingere nach links, und fast wären wir umgekippt, aber Claudia und Bernd werfen sich geistesgegenwärtig auf die andere Seite, und ich komme nur für einen Moment von der Fahrbahn ab. Der Schnee spritzt an den Scheiben hoch. Die Scheibenwischer arbeiten wie wild. Vielleicht sollten wir einfach drehen, ruft Claudia, damit rechnen die nie im Leben.”

 
Frank Witzel (Wiesbaden, 1955)

Deutscher Buchpreis 2010 voor Melinda Nadj Abonji

Deutscher Buchpreis voor Melinda Nadj Abonji

 

 

De Zwitserse schrijfster en muzikante  Melinda Nadj Abonji krijgt dit jaar de Deutsche Buchpreis voor haar boek Tauben fliegen auf, zo werd op 4 oktober 2010  traditioneel bij de opening van de Frankfurter Buchmesse bekendgemaakt.

 

Melinda Nadj Abonji werd geboren op 22 juni 1968 in Bečej (nu in Servië). Zij verhuisde met haar ouders in 1973 uit het voormalige Joegoslavië van Tito naar Zwitserland en is sindsdien genaturaliseerd. Ze beëindigde haar studie aan de universiteit van Zürich in 1997 met de Lizenziatsgrad. In 2004 deed zij mee aan het Ingeborg Bachmann Concours in Klagenfurt. Ze treedt op als solo artieste en samen met rapper Jurczok 1001 als muzikante (zang en viool). Ook schreef zij tal van artikelen voor literaire tijdschriften (o.a. drehpunkt, Lenos, Basel / manuskripte, Graz / entwürfe, Zürich) en bloemlezingen. Haar roman Tauben fliegen auf werd gepubliceerd in 2010. Zij vertelt erin over de familie Kocsis, die deel uitmaakt van de Hongaarse minderheid in het noorden van Servië en die verhuisde naar Zürich. De voormalige immigrante werd de allereerste Zwitserse schrijver/schrijfster die ooit de Deutsche Buchpreis heeft gewonnen. Abonji woont al vele jaren in Zürich.

 

Uit: Tauben fliegen auf

 

“Titos Sommer

Als wir nun endlich mit unserem amerikanischen Wagen einfahren, einem tief braunen Chevrolet, schokoladefarben, könnte man sagen, brennt die Sonne unbarmherzig auf die Kleinstadt, hat die Sonne die Schatten der Häuser und Bäume beinahe restlos aufgefressen, zur Mittagszeit also fahren wir ein, recken unsere Hälse, um zu sehen, ob alles noch da ist, ob alles noch so ist wie im letzten Sommer und all die Jahre zuvor.

Wir fahren ein, gleiten durch die mit majestätischen Pappeln gesäumte Strasse, die Allee, welche die Kleinstadt vorankündigt, und ich habe es nie jemandem gesagt, dass mich diese zum Himmel strebenden Bäume in einen schwindelerregenden Zustand versetzen, einen Zustand, der mich mit Matteo kurzschliesst (der Taumel, dem ich verfalle, als Matteo und ich uns endlos im Kreis drehen, auf der schönsten Lichtung des Dorfwaldes, innig, seine Stirn auf meiner, später dann Matteos Zunge, die eigenartig kühl ist, seine schwarzen Körperhaare, die sich so an seine Haut schmiegen, als wären sie ihrer hellen Schönheit völlig ergeben).

Als wir an den Pappeln vorbeifahren, mir dieses Flirren den Verstand raubt, unser schokoladefarbenes Schiff geräuschlos von einem Baum zum nächsten gleitet, dazwischen die Luft der Ebene, die sichtbar wird, ich kann sie sehen, die Luft, die jetzt stillsteht, weil die Sonne so erbarmungslos ist, da sagt mein Vater zur Klimaanlage hin, immer noch alles genau gleich, mit kleiner Stimme sagt er, hat sich nichts verändert, gar nichts.

Niemand weiss, was mir diese Bäume bedeuten, die Luft zwischen den Bäumen, die man genau sehen kann, und nirgends sind die Bäume so verheissungsvoll wie hier, wo die Ebene ihnen Platz lässt, und ich wünsche mir auch diesmal stehenzubleiben, mich an einen dieser Stämme zu lehnen,

meinen Blick zu heben, mich von den raschen, kleinen Bewegungen der Blätter verführen zu lassen, und ich bitte meinen Vater auch diesmal nicht anzuhalten, weil ich auf die Frage »warum« keine Antwort wüsste, weil ich vieles erzählen müsste, ganz bestimmt aber von Matteo, um zu erklären,

warum ich ausgerechnet hier anhalten will, so kurz vor dem Ziel.”

 


Melinda Nadj Abonji (Bečej, 22 juni 1968)