De Duitse schrijver Siegfried Lenz werd op 17 maart 1926 in Lyck, in de landstreek Masuren in Oostpruisen geboren. Zie ook alle tags voor Siegfried Lenz op dit blog.
Uit: Arnes Nachlaß
„Sie beauftragten mich, Arnes Nachlaß einzupakken. Einen ganzen Monat ließen sie verstreichen -einen Monat der Ratlosigkeit und der verzweifelten Hoffnung -, bis sie mich an einem Abend fragten, ob es nicht doch an der Zeit sei, seinen Nachlaß einzusammeln und zu verstauen, und so, wie meine Eltern das fragten, mußte ich es als Auftrag verstehen. ich versprach nichts; schweigend aß ich mein Abendbrot zu Ende, rauchte zum letzten Glas Bier eine Zigarette, dann stieg ich hinauf in mein Zimmer, das ich so lange mit Arne geteilt hatte, setzte mich auf seinen Hocker und brauchte eine Weile, ehe ich mich entschloß, sein ramponiertes Köfferchen vom benachbarten Boden zu holen und den Karton, den er damals mitbrachte. Ich hob den Deckel vom Karton, ich öffnete das Köfferchen, und während ich den Blick wandern ließ zu den offen daliegenden Sachen, die ihm gehörten, glaubte ich auf einmal, Arnes Anwesenheit zu spüren, und hatte das Gefühl, daß er mich, wie so manches Mal, dringend und fragend ansah. Vor mir lag seine finnische Grammatik – ich rührte sie nicht an; in Reichweite, als Heftbeschwerer, glänzte der von Schmutzfäden durchzogene kleine Messingbarren – ich nahm ihn nicht in die Hand; ich löste nicht die kolorierte Karte des Bottnischen Meerbusens von der Wand, die er in Augenhöhe angepinnt hatte, und ich scheute mich, das Brett mit den Schiffsknoten aufzunehmen und in den Kanon zu legen. Ach, Arne, an diesem Abend brachte ich es anfangs nicht fertig, deine Hinterlassenschaft einfach einzusammeln und still wegzuräumen und für unbestimmte Zeit in die ewige Dämmerung des Bodens zu verbannen. Zuviel kam da herauf und bot sich an, jedes Ding bezeugte etwas, gab etwas preis, wie von selbst stiftete es dazu an, Vergangen-heit zum Reden zu bringen. Ein Blick auf den kleinen, aus Holz geschnitzten und rotweiß gelackten Modell-Leuchtturm, und unwillkürlich belebte und vertiefte sich Erinnerung, ein Fenster öffnete sich, wieder herrschte Hafenwinter, ein verhangener Tag mit beißender Klammheit, der Tag, an dem Arne zu uns gebracht wurde. Wir aßen Birnen. An jenem Wintertag hingen wir erwartungsvoll am Fenster und aßen südafrikanische Tafelbirnen, die einer von Vaters Leuten in einem der Fruchtschuppen ergattert hatte, drüben im Freihafen. Kauend blickten wir auf den abschüssigen, unter Schnee liegenden Werftplatz, über den ausgetretene Wege hinliefen — von den Werkstätten zum Kontor, von den Schuppen zu den beiden Kränen —, schmutzige Wege, in denen Pfützen von Schmelzwasser schimmerten. Alles trug weiße Kappen: die verbrauchten Kolben und Wellen, die alten Anker und die ausgedienten Schiffsmasten und auch der Falltumn, in dem die Kugel herabsauste und den Schrott zu Barren zurechthämmerte, waren weiß bemützt.“
Siegfried Lenz (17 maart 1926 – 7 oktober 2014)
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