De Franse schrijver van Russische afkomst Andreï Makine werd geboren in Krasnojarsk op 10 september 1957. Zie ook mijn blog van 10 september 2010. en eveneens alle tags voor Andreï Makine op dit blog.
Uit: Das französische Testament (Vertaald door Holger Fock en Sabine Müller)
„Selbst Glacha, die Bäuerin in der Familie, trug auf den wenigen Aufnahmen, die uns von ihr geblieben waren, dieses wunderbare Lächeln. Schließlich war da noch ein ganzer Schwarm junger Cousinen, die in den endlos langen Sekunden des Stillhaltens ihre Lippen aufwarfen beim Versuch, sich den flüchtigen französischen Charme zu geben. Als sie ihr »petite pomme« murmelten, glaubten sie noch, das künftige Leben würde allein aus solchen anmutigen Augenblicken gewebt sein …
In diese endlose Reihe von Blicken und Gesichtern drängte sich gelegentlich das Bild einer Frau mit ebenmäßigen, feinen Gesichtszügen und großen, grauen Augen. Als junges Mädchen war ihr Lächeln, in den ältesten Alben, erfüllt vom geheimnisvollen Zauber des »petite pomme«. Mit den Jahren verblasste dieser Ausdruck, und in den immer neueren und näher an unsere Gegenwart rückenden Alben wurde er von einem Schleier aus Melancholie und Schlichtheit überschattet.
Aber diese Frau, eine in der verschneiten, unermesslich weiten Landschaft Russlands verlorene Französin, hatte ihnen das Zauberwort beigebracht, das schön machte. Meine Großmutter mütterlicherseits … Sie war zu Beginn des Jahrhunderts in Frankreich geboren worden als Kind von Norbert und Albertine Lemonnier. Das Geheimnis des »petite pomme« war wahrscheinlich die allererste Legende, die unsere Kindheit bezauberte. Und sicher lieferte sie die ersten Worte aus jener Sprache, die meine Mutter scherzhaft meine »Großmuttersprache« nannte.
Eines Tages fiel mir ein Foto in die Hände, das ich nicht hätte sehen sollen … Ich verbrachte die Ferien bei meiner Großmutter in einer Stadt am Rande der russischen Steppe, in die es sie nach dem Krieg verschlagen hatte. Es war an einem heißen Sommertag, die Sonne neigte sich langsam dem Abend entgegen und tauchte das Zimmer in malvenfarbenes Rot. Dieser etwas unwirkliche Schein legte sich über die Fotos, die ich am offenen Fenster betrachtete. Es waren die ältesten Aufnahmen in unseren Alben. Sie hatten die Revolution von 1917 überstanden, führten in die unvordenklichen Zeiten des Zaren zurück und ließen sie wieder lebendig werden, vor allem aber durchstießen sie den damals sehr dichten Eisernen Vorhang und brachten mich einmal zu einer gotischen Kathedrale, ein anderes Mal auf die Wege eines Gartens, dessen vollkommene Geometrie mich ratlos machte.
Ich tauchte in die Ahnengeschichte unserer Familie ein …”
Andreï Makine (Krasnojarsk, 10 september 1957)
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