De Duitse schrijver en journalist Eckhart Nickel werd geboren op 2 juni 1966 in Frankfurt am Main. Na zijn studie kunstgeschiedenis en literatuur in Heidelberg en New York City werkte hij bij verschillende media, waaronder het Duitse lifestyle-tijdschrift Tempo, Arte Television in Straatsburg en Architectural Digest. Zijn werk werd gepubliceerd in de weekendedities van de Süddeutsche Zeitung en Frankfurter Allgemeine Zeitung. Hij was ook hoofdredacteur van het veelgeprezen literaire tijdschrift Der Freund, een samenwerking met de Zwitserse schrijver Christian Kracht (de uitgever van het tijdschrift), dat werd opgericht in Kathmandu en werd gepubliceerd van september 2004 tot juni 2006. Van januari tot oktober 2007 was hij verantwoordelijk voor het schrijven over lifestyle voor de zaterdagbijlage van de Süddeutsche Zeitung. Hij woont in Sonoma County, Californië. Aan het begin van zijn carrière werd Nickel ingedeeld bij de Duitse “popliteratuur”, Zijn werk gaat vooral over het lot van de moderne mens die in opstand komt. In 2019 ontving Nickel de Friedrich-Hölderlin-Förderpreis van de stad Bad Homburg. In 2021 bracht Nickel “Von unterwegs” uit, een bundel reisverhalen en reportages, waarvan sommige teksten eerder in dagbladen en tijdschriften verschenen. De roman “Spitzweg” volgde in 2022.
Uit: Spitzweg
„Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht. Die meisten Bilder, die ich zu Gesicht bekam, fand ich entweder unansehnlich oder nichtssagend. Bisweilen auch beides zugleich. Wie kamen Künstler nur auf die Idee, die Welt habe sich dafür zu interessieren, was sie zu Papier bringen? Gemälde an sich. wozu sind sie gut? Bevor ich eine Landschaft an die Wand hänge, blicke ich doch lieber durch ein Fenster auf sie hin-aus. Und wenn mir danach sein sollte, einen Menschen zu sehen, bringe ich genau dort einen Spiegel an. Kunst versucht oft, beides zu sein, Fenster wie Spiegel, und kann doch weder das eine noch das andere ersetzen. Gerade, wenn sie versucht, das Leben wirklichkeitsgetreu abzubilden. zeigt sich das Ausmaß ihres Scheiterns besonders deutlich. Das hat mir eine unerhörte Begebenheit in der Schule vor Augen geführt, und es brauchte die Überzeugungskraft einer einzig und allein aus der Kunst abgeleiteten Existenz, um mich vom Gegenteil zu überzeugen: dem Wunder der Kunst. eine Vision der Wahrheit in ästhetischer Form anschaulich verdichten zu können. So gesehen kann ich den Umstand, dass Carl erst kurz vor dem Tag, da die Geschichte sich ereignete, bei uns aufgetaucht war, kaum als Zufall deuten. Die Kunstlehrerin gab uns ein Selbstporträt als Aufgabe, und wie stets stellte die Mehrheit, mich eingeschlossen, wie-der einmal nur stümperhaft ihre Unfähigkeit unter Beweis.
Während also alle verzweifelt über den Zeichenblock gebeugt versuchten, wenigstens die Umrisse ihrer Gesichter halbwegs ordentlich hinzubekommen, schlich Frau Hügel, wie wir es gewohnt waren. mit hinter dem Rücken verschränkten Händen von Tisch zu Tisch. Ihr strenges schwarzes Kostüm. tun dem sie nur selten abwich, bestand aus einem feinmaschigen Rollkragenpullover zum Faltenrock. Die ölig dunklen Haare waren zur Seite weg gebunden, aber immer fiel eine glänzende Strähne nach vorne, wenn sie sich über die Schulter eines Schülers beugte, um sein Werk genauer zu begutachten. So auch bei Kirsten, dem einzigen Talent unter uns. Sie musterte betont genau die bereits nahezu vollendete Zeichnung. räusperte sich dann gedehnt und sprach schließlich mit tonloser Stimme ihr Urteil: -Ausgesprochen gelungen, Respekt: Mut zur Hässlichkeit!-Kirsten schluckte in die unmittelbar eingetretene Stille hinein. Nach einer ins Unerträgliche gedehnten Pause, in der alle wie gelähmt auf sie starrten, stand sie auf und rannte mit vor die Augen geschlagenen Händen nach hinten aus dem Kunstraum in das steinerne Treppenhaus. Und obwohl Kirsten ihre zerbrechlich hoch kieksende Stimme nicht erhoben hatte, höre ich den stummen Schrei bis heute, wie er sich über das immer weiter entfernt hallende Klicken ihrer Schuhe im Flur legte. Frau Hügel starrte wie alle anderen völlig gebannt der verschwundenen Kirsten hinterher. Weil ich als Einziger direkt in der Reihe vor ihr saß, bekam niemand sonst das Unglaubliche mit, was währenddessen geschah: Carl, der in Kunst seinen Platz neben Kirsten hatte, blickte zwar genau wie die anderen Schüler Richtung Tür.“