Georg-Büchner-Preis voor Lukas Bärfuss
De Zwitserse schrijver en dramaturg Lukas Bärfuss krijgt de Georg-Büchner-Preis 2019. Lukas Bärfuss werd geboren op 30 december 1971 in Thun. Zie ook alle tags voor Lukas Bärfuss op dit blog.
Uit: Hagard
„Seit viel zu langer Zeit versuche ich, Philips Geschichte zu verstehen. Ich will das Geheimnis lüften,
das in ihr verborgen ist. Ein ums andere Mal bin ich gescheitert und konnte das Rätsel jener Bilder nicht entschlüsseln, die mich heimsuchen, Bilder der Grausamkeit und der Komik, wie in jeder Erzählung, in der das Begehren auf den Tod trifft.
Ich weiß alles, und ich begreife nichts. Ich kenne die Abfolge der Ereignisse. Ich weiß, wie die Geschichte anfängt, ich kenne den Tag und ich kenne den Ort: Es ist der Brezelstand vor dem Warenhaus beim Bellevue. Ich weiß, wann sie ihr Ende findet, nämlich sechsunddreißig Stunden später, am frühen Donnerstagmorgen des dreizehnten März auf einem Balkon irgendwo in der Vorstadt. Auch die Ereignisse, die dazwischen liegen, sind geklärt: die Sache mit dem Pelz, die erste kalte Nacht im Wagen, die fehlende Börse, die Elster, der verlorene Schuh, der tote japanische Mathematiker – all dies liegt offen zu Tage. Die Umstände aber, die Bedingungen, die jene Ereignisse ermöglicht haben, bleiben verborgen. Und je gründlicher ich die Einzelheiten kläre, umso schemenhafter wird die Welt, in der sich die Geschichte ereignete. Man könnte denken, es gehe mir wie jenem, den die Redensart beschreibt; doch der Wald, darauf bestehe ich, ist eine reine Behauptung, ein abstraktes System, das in der Wirklichkeit nicht zu finden ist. Der Wald zerfällt in lauter Bäume, genau wie der Himmel in Planeten zerfällt, in Sterne und Meteore.
Nach meinen vergeblichen Versuchen, einen Zusammenhang in den Bildern zu finden, bin ich zum Schluss gekommen, dass es weniger diese Geschichte als solche ist, die ich nicht verstehe, und es vielmehr darum geht, meine Verstrickung zu erklären, herauszufinden, was sie mir sagen wollen, diese Erscheinungen, die mich berücken, verzaubern und einige Male an den Rand des Wahnsinns geführt haben. Meine Existenz hängt an dieser Geschichte, so rede ich mir ein, und gleichzeitig weiß ich, wie lächerlich ich bin und dass ich nichts zu fürchten habe, dass ich die Ereignisse jener Märztage ruhen lassen könnte und mir nichts geschehen würde, ich mein Leben weiterführen könnte wie bisher. Tatsächlich wäre ich gerettet, wenn ich eingestehen könnte, an Philips Geschichte gescheitert zu sein. Sie ist zu groß für mich – obwohl sie ganz einfach erscheint. Es ist, als ob ich bei jedem Versuch etwas vergessen würde, eine Einzelheit, die unerlässlich ist, als ob ich ein Zeichen verlöre, das mich auf die richtige Spur führt. Ich weiß, wie oft ich es geschworen und mich damit belogen habe wie ein Trinker, der sich mit dem letzten Glas betrügt. Ich bin ein Spieler knapp vor dem Bankrott, der ein letztes Mal die Karten geben lässt – einen Versuch will ich noch wagen, einmal noch werde ich die Ereignisse auferstehen lassen, einmal noch, und dann soll es damit sein Bewenden haben.“