De Duitse schrijver Ingo Schulze werd geboren in Dresden op 15 december 1962. Zie ook mijn blog van 15 december 2008 en ook mijn blog van 15 december 2009 en ook mijn blog van 15 december 2010.
Uit: 33 Augenblicke des Glücks
“Ich will es Ihnen erklären: Vor einem Jahr erfüllte ich mir einen langgehegten Wunsch und fuhr mit der Bahn nach Petersburg. Ich teilte das Abteil mit einer frisch frisierten Russin, ihrem Mann und einem Deutschen namens Hofmann. Die Russen sahen in uns ein Paar, und Hofmann, als der Übersetzer ihrer Fragen und meiner Antworten, ließ sie wohl in diesem Glauben. Ich weiß nicht, was er ihnen noch alles erzählt hat. Sie lachten unentwegt, und die Frau tätschelte meine Wange.
Auch in der Nacht blieb es schwül, die Hemden der Schaffner waren fleckig vor Schweiß, die Fenster beschlagen, schmutzig und im Abteil nicht zu öffnen – angeblich gab es eine Klimaanlage –, und wenn es nicht nach Desinfektionsmitteln stank, dann nach Klo und Zigaretten. Stahlbleche, wie Zugbrücken zwischen den Waggons herabgelassen, schlugen tarrara-tarrara-bsching, tarrara-tarrara-bsching aufeinander, wechselten beim Abbremsen zu tarrara-bsching-bschong, tarrara-bsching-bschong, bis die Puffer aufeinander prallten – unberechenbare, unablässige Stöße, so daß ich nicht schlafen konnte und auch am folgenden Tag, als die Hitze nachließ, wach lag. Wenn Hofmann nicht mit den Russen sprach, blickte er, den Kopf ins Kissen gedrückt, zum Fenster hinaus, wo sich zwischen sumpfigem Brachland und wüsten Wäldern hin und wieder Häuschen zeigten, blau und grün und schief in die Erde gedrü ckt, und aufgestapelte Scheite hell hinter abgebrannten Wiesen und getünchten Zäunen leuchteten. Von den gelben Fähnchen der Schrankenwä rter war oft nur der Holzstab zum Salutieren übriggeblieben.
Am zweiten Abend, bereits in Litauen, lud mich Hofmann plö tzlich in den Speisewagen ein. Wie er mir gegenübersaß, dunkelblond, fast grauäugig, mit einer Narbe unterm Kinn, wirkte er selbstsicher. Er bestellte ohne Speisekarte und putzte sein Besteck an den roten Gardinen. Auf die Frage jedoch, wie ein deutscher Geschäftsmann, für den er sich ausgab, dazu komme, mit der Bahn zu reisen, verlor er einen Moment lang alle Leichtigkeit. Er lächelte angestrengt und fixierte mich. Statt zu antworten, begann er weitschweifig von seiner Arbeit für eine Zeitung zu sprechen. Vor allem aber sei er, neben seiner Leidenschaft fü r den Karaokegesang, ein Literaturliebhaber.”
Ingo Schulze (Dresden, 15 december 1962)
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