Thomas Glavinic, Émile Zola, György Konrád, Anneke Claus, Anne Waldman, Casanova

De Oostenrijkse schrijver Thomas Glavinic werd geboren op 2 april 1972 in Graz. Zie ook alle tags voor Thomas Glavinic op dit blog.

 

Uit: Wie man leben soll

“Man liegt unbequem da. Wagt nicht, den steifgewordenen Arm unter dem Körper wegzuziehen. Man befürchtet, diese Bewegung könnte Claudia so verschrecken, daß sie sich die Sache noch einmal überlegt und Hals über Kopf zur Tür hinausstürzt. Doch das Risiko ist es wert. So bewegt man die Lippen auf jene des Mädchens zu. Dabei achtet man darauf, nicht zu hastig vorzugehen. Wenn endlich Mund auf Mund trifft, staunt man über den Eindruck, den diese Intimität erzeugt.

Vorsichtig schiebt man die Zunge in Claudias Mund, ohne sich vom Klopfen seines Herzens irritieren zu lassen. Man bemüht sich, daß es zu keiner Kollision der Gebisse kommt. In ›Das erste Mal‹ hat man gelesen, solches sei der Romantik des Moments abträglich und nur durch Lachen zu kompensieren. Das aber setzt ein gewisses Maß an bereits vorhandener Harmonie voraus. Und so lange ist man ja nicht zusammen. Drei Wochen, was ist das schon.

Beflissen vermeidet man ferner, der Geliebten in den Mund zu speicheln. Jedenfalls in übertriebenem Ausmaß. Ein wenig Speichel bringt Vertrautheit, doch dosis venenum facit.

Die Küsse sind lang und innig.

In regelmäßigen Abständen donnert Mutter mit ihrem Gipsarm, den sie einem Alkoholexzeß verdankt, gegen die versperrte Tür, um den Kindern keine Zeit für eine Schwängerung zu lassen. Vor Claudias Ankunft hat sie allen Ernstes behauptet, sie selbst müsse in diesem Fall für die Alimente aufkommen, da man noch unmündig sei, und daher solle man, wie sie sich ausdrückte, den Hengst im Stall lassen.

Man reagiert nicht. In Claudias Beisein will man der eigenen Mutter unterkühlt-lässig begegnen. Dies wird der Freundin das Gefühl vermitteln, einen reifen Partner gewählt zu haben, der sich wohltuend von den kreidewerfenden, kraftmeiernden und Allotria treibenden Kindsköpfen in ihrer Klasse unterscheidet.”

 

Thomas Glavinic (Graz, 2 april 1972)

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