Harald Hartung, Matthias Zschokke, Mohsen Emadi

De Duitse schrijver, dichter en literatuurwetenschapper Harald Hartung werd geboren op 29 oktober 1932 in Heme. Zie ook mijn blog van 29 oktober 2010 en eveneens alle tags voor Harald Hartung op dit blog.

 

Uit: Der Tag vor dem Abend

Gestern abend auf dem Belvedere unter den Sternen

Vor einiger Zeit blätterte ich in Kafkas Tagebüchern, in denen ich lange nicht gelesen hatte, und stieß auf eine Stelle, von der ein eigentümlicher kleiner Glanz ausging. Sie ging mir nach, und als ich sie wieder lesen wollte, entzog sie sich meinem nervösen Suchen. Das steigerte meine Faszination, leider nicht meine Geduld. Die Frage nach Kafkas Sätzen brachte mich auf die Sache zurück. Nun las ich noch einmal von Anfang und kam an vielen wunderbaren Einträgen vorüber; gleich zu Anfang der Befund »Meine Ohrmuschel fühlte sich frisch, rauh, kühl, saftig an wie ein Blatt.« Dann der berühmte Satz, daß Schriftsteller Gestank reden; oder der nicht minder berühmte, wonach ein wahllos hingeschriebener Satz – bei ihm, Kafka – bereits vollkommen sei.

Ich eilte an all dem vorüber – im Vorschein des erinnerten Glanzes. Und natürlich fand ich die Stelle, fand sie auf halber Strecke, unter dem Datum des 13. August 1913: »Gestern abend auf dem Belvedere unter den Sternen.« Das war es also, und ich war fast ein bißchen enttäuscht. Das verheißungsvolle Halbvergessene schien mir plötzlich bloß ein simples Notat. Nun gut, dachte ich, aber dann hast du wenigstens etwas, das nicht nach Kafka klingt. Man sieht, meine Ungeduld war noch immer virulent. Doch etwas hielt mich fest. Etwas wie Treue zu meinem ersten Eindruck.

Ich hatte den Gestus der Stelle unterschätzt. Kafka scheint für diese knappe Notiz frei von aller quälenden und selbstquälerischen Reflexion. Frei für einen zeitlosen Moment, frei für eine Epiphanie, die er gar nicht weiter bezeichnet. Vielleicht weil sie ihm an einem vertrauten Ziel vieler Spaziergänge erscheint, in den Kronprinz-Rudolf- Anlagen, wie sie damals hießen. Das Belvedere, das vielen Prag-Besuchern vertraute Lustschloß auf dem Hradschin, gibt nur den Fixpunkt. Von ihm aus öffnet sich der Raum.

Ganz ohne Deutung, ohne kosmische Idee. Kafka kommt ohne Kants gestirnten Himmel aus. Er sieht sich in der einfachsten, größten Konstellation: »unter den Sternen«. Das kann jeder sagen, und doch ist es hier wie zum ersten Mal gesagt. Und versiegelt dem, der es ausdeuten möchte, die Lippen.

Aus dem Wintersemester 1957/58. Als der Landvermesser K. mit Frieda in der Bierpfütze lag, wollte mein Sofa brennen. Etwas glühende Asche vom gußeisernen Ofen hatte Flämmchen an meiner zerschlissenen Wolldecke aufzüngeln lassen. Ich sprang ins Nebengemach und griff nach der Waschschüssel, in der zum Glück noch Wasser war.”

 

Harald Hartung (Herne, 29 oktober 1932)

Herne, Schloss Strünkede

 

De Zwitserse dichter, schrijver en filmmaker Matthias Zschokke werd geboren op 29 oktober 1954 in Bern. Zie ook mijn blog van 29 oktober 2010 en eveneens alle tags voor Matthias Zschokke op dit blog.

 

Uit: Auf Reisen

“Zum Schluß beschwor sie mich geradezu, unbedingt auch das Wittumspalais anschauen zu gehen, das sei das schönste und authentischste aller Wohnhäuser, da habe Anna Amalia gewohnt, die Herzoginmutter, deretwegen Weimar heute überhaupt Weimar sei … Und so habe ich mir im Lauf der Tage alles angeschaut, was man gesehen haben muß, und kann bestätigen: Man muß es gesehen haben.

Essen? Auf der Suche danach spazierte ich abends durchs Städtchen. Die Beleuchtung ist fahl, die Gassen sind trüb und leer, die paar Gaststätten mit thüringischen Spezialitäten funzeln vor sich hin. Der gastronomische Trübsinn der deutschen siebziger Jahre senkte sich schwer auf mich. Um nicht vor einem tiefgekühlten Kloß mit Rotkohl zu enden, zog ich mich schließlich ins berühmte Hotel „Elephant“ zurück, mit seinem dreihundert Jahre alten Gästebuch, in dem sich ein Haufen höchst zweifelhafter Namen im Licht einiger glanzvoller zu sonnen versucht. Zuerst ging ich in die „Liszt-Bar“, einen großen, ernsten Raum, halb Bauhaus, halb Art déco, sehr ansprechend, dann auf die Toilette, eine marmorne Fürstengruft, deren Strenge mich so begeisterte, daß ich entschied, zu bleiben und ins hoteleigene Restaurant „Anna Amalia“ zu gehen, einen prachtvoll renovierten Saal – alles in diesem herrischen Stil –, wo ich ziemlich einsam saß und fabelhaft aß.

Am folgenden Abend schlich ich wieder um die dubiosen Kloß-Kneipen („Zum alten Zausel“, „Zur Siechen-Tränke“), gelangte in die Hummelstraße – ja, auch Johann Nepomuk Hummel hat hier gelebt, ebenso wie Bach –, wo ein Italiener für solche kocht, die dem wilden Osten nicht recht trauen. Es war bei ihm so sympathisch, daß ich mir daraufhin Hummelmusik besorgte, die nun, während ich das schreibe, gefällig vor sich hin summt und brummt. Mit Sicherheit hat sie Goethe, wenn sie im Sommer durch seine geöffneten Fenster drang, beim Verseschmieden nicht abgelenkt. Außer vielleicht das Septett Opus 74, ein merkwürdig verbocktes Ding, das die klassische Glätte sprengt. Einmal übrigens wagte ich dann doch einen thüringischen Abend, in „Sommer’s“, einer Weinstube, deren Eröffnung Goethe durchaus noch erlebt haben könnte. Die Klöße und das Fleisch waren gut, das schwarze Bier vorzüglich, der weiße Lokalwein (Saale-Unstrut) ebenfalls – und immer wieder: lauter reizende Menschen.”

 

Matthias Zschokke (Bern, 29 oktober 1954)

 

De Iraanse dichter en vertaler Mohsen Emadi werd geboren op 29 oktober 1976 in Sari. Zie ook mijn blog van 29 oktober 2010 en eveneensalle tags voor Mohsen Emadi op dit blog.

 

The Poem

1

Words are the burying ground of things.

The trot of a horse through these lines

is a sound I haven’t heard since childhood.

Your laughter wilted in my teenage years.

I write

as if on pilgrimage to the city of the dead.

If time by chance slips backwards,

my father’s murmurs will echo

in the ears of the text, the sound of a bullet

will disturb the sleep of these lines

and a wild-haired poem will pace

a room that’s been decayed for years.

Words have been arranged along the faded lines of a house:

Here is a window,

behind the window a courtyard. No one knows

which nightmare awakens the poem. It sees

sometimes, at the window, the glance of a neighbor’s bride,

sometimes the swing and the bicycle,

or the wall with its cheap paintings.

It looks at them

until they come alive

then, to the inhale and exhale of living things

goes back to sleep.

 

Vertaald door Shirindokht Nourmanesh, Dan Veach en Sholeh Wolpé

 

Mohsen Emadi (Sari, 29 oktober 1976)

 

Zie voor nog meer schrijvers van de 29e oktober ook mijn blog van 29 oktober 2011 deel 1 en eveneens deel 2.