De Belgisch-Amerikaanse, Franstalige schrijfster Marguerite Yourcenar werd geboren in Brussel op 8 juni 1903. Zie ook alle tags voor Marguerite Yourcenar op dit blog
Uit: Eine Münze in neun Händen (Le Denier du Rêve, vertaald door Rolf en Hedda Soellner)
“Paolo Farina war ein Provinzler, jung noch, wohlsituiert, so anständig, wie man es von einem Mann des Rechts erwarten kann, und in seinem kleinen toskanischen Marktflecken so beliebt, daß selbst sein Unglück ihm keine Verachtung eintrug. Man hatte ihn bedauert, als seine Frau nach Libyen durchgebrannt war, mit einem Liebhaber, von dem sie hoffte, er werde sie glücklich machen. Glücklich war sie kaum gewesen während jener sechs Monate, in denen sie Paolo Farinas Haushalt geführt und sich die bissigen Belehrungen ihrer Schwiegermutter angehört hatte, doch Paolos Liebe war so blind gewesen, so besitzergreifend und ausschließlich, daß er gar nicht auf die Idee gekommen war, die junge Frau könne dieses Leben unerträglich finden. Als Angiola nach einer demütigenden Szene, die sie ihm vor den beiden Dienstmädchen gemacht hatte, das Haus verließ, fragte er sich erstaunt, warum es ihm nicht gelungen war, ihre Liebe zu erringen.
Doch die Urteile seiner Nachbarn beruhigten ihn; er hielt Angiola für schuldig, da die kleine Stadt ihn bemitleidete. Man schrieb die Eskapade der jungen Frau ihrem südlichen Temperament zu, denn es war bekannt, daß sie aus Sizilien stammte; aber man war auch empört darüber, daß jemand, dem aufgrund einer offenbar guten Herkunft das Glück einer Erziehung in der Klosterschule für adelige Mädchen in Florenz und eine wohlwollende Aufnahme in Pietrasanta zuteil geworden war, so tief hatte sinken können. Die allgemeine Ansicht ging dahin, daß Paolo Farina sich als vollendeter Gatte erwiesen habe. Er war vollendeter gewesen, als die kleine Stadt es sich vorstellte, denn er hatte Angiola unter Umständen geheiratet, unter denen ein vorsichtiger Mann gewöhnlich keine Ehe eingeht. Doch diese Erinnerungen waren ihm wider Erwarten kein Anlaß, die Flüchtige schnöder Undankbarkeit zu zeihen, denn sie waren ihm selber kaum noch gegenwärtig.
Er hatte sie nach Kräften aus seinem Gedächtnis getilgt, hauptsächlich aus Güte gegen die junge Frau, und damit sie vergessen sollte, was er ihr Mißgeschick nannte, ein wenig auch aus Güte gegen sich selbst, und weil es unangenehm ist, sich sagen zu müssen, daß einem die Ehefrau sozusagen indirekt, aus zweiter Hand, zugefallen ist.”
Lees verder “Marguerite Yourcenar, Ulf Stolterfoht, Gwen Harwood, Gerald Bisinger”