De Argentijnse schrijver en vertaler César Aira werd geboren op 23 februari 1949 in Coronel Pringles. Zie ook alle tags voor César Aira op dit blog.
Uit: Die nächtliche Erleuchtung des Staatsdieners Varamo (Vertaald door Matthias Strobel)
„An einem Tag im Jahre 1923 verließ in der Stadt Colón (Panama) ein drittrangiger Schreiber das Ministerium, nachdem er zuvor die Kasse aufgesucht hatte, um sich, da es der letzte Arbeitstag des Monats war, sein Gehalt abzuholen. In der Zeit, die zwischen diesem Augenblick und dem Anbruch des folgenden Tages verging, also innerhalb von zehn bis zwölf Stunden, schrieb er ein langes Gedicht, in einem durch, ab der Entscheidung, es zu schreiben, bis zum Schlusspunkt, nach dem es keine Zusätze oder Änderungen mehr geben würde. Um diese Zeitspanne in sich abzuschließen, sei hier gesagt, dass er nie zuvor in seinem nun schon ein halbes Jahrhundert währenden Leben auch nur eine einzige Verszeile geschrieben hatte oder ihm ein Grund eingefallen war, warum er dies hätte tun sollen; auch danach schrieb er nie wieder etwas. Es war eine Blase in der Zeit und in seiner Biographie, ohne Vorläufer oder Nachfolger. Die Inspiration blieb innerhalb der Aktion und umgekehrt, wo die eine die andere nährte und beide sich gegenseitig verzehrten, ohne Reste übrig zu lassen. Trotzdem wäre es eine private und geheime Episode geblieben, wäre ihr Protagonist nicht Varamo gewesen und das daraus resultierende Gedicht nicht das berühmte Meisterwerk der modernen mittelamerikanischen Lyrik Der Gesang des jungfräulichen Kindes.
Ausgangs- und Höhepunkt der gewagtesten experimentellen Sprachavantgarde, wurde das rätselhafte Gedicht (das wenige Tage später als Buch herauskam, um den Mythos des Plötzlichen zu verfestigen, der
es seither umweht), weil es jeden Kritiker oder Literaturgeschichtler, der es in einen Kontext einzuordnen versucht, vor schier unüberwindliche Schwierigkeiten stellt, wiederholt als unerklärliches Wunder
bezeichnet.
Doch hat auf dieser Welt alles seine Erklärung. Wenn wir sie in diesem Fall finden wollen, müssen wir uns daran erinnern, dass diese Episode, wenn sie ein Ende hat (den Gedichttext), auch einen Anfang haben muss, schon aus Gründen der Symmetrie, so wie die Wirkung auf die Ursache folgt oder umgekehrt.“
César Aira (Coronel Pringles, 23 februari 1949)
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