De Oostenrijkse dichter en schrijver Peter Rosei werd geboren op 17 juni 1946 in Wenen. Zie ook alle tags voor Peter Rosei op dit blog.
Uit: Die Globalisten
“Was soll ich Ihnen schon sagen? Ich bin ja nur ein kleines, ein winziges Schräubchen im Getriebe. Ich will das gar nicht verschweigen, o nein! Aber auch so kann man eine schöne Stange Geld verdienen und sein Glück machen, nicht wahr?« Der etwas stockige, untersetzte Mann musterte sein Gegenüber. »Wir versuchen doch alle nur, auf der goldenen Kugel zu tanzen, ganz egal, wie und wohin sie rollt«, sprach er rasch weiter, und dann hob er neuerlich den Blick, den er für einen Moment zu seinen auf dem Tisch liegenden Händen gesenkt gehabt hatte. »Haben Sie Kinder?«, fragte er unvermittelt. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Herr Weill!«, rief sein Gegenüber da aus, ein noch jugendlich wirkender, schwarzhaariger, elastischer Mensch, der in einem guten, blauen Tuchanzug steckte und bisher stillgehalten hatte: »Wollen Sie mich verarschen?!« Er brachte die Worte mit hartem, slawischem Akzent vor. »Aber nein!«, beteuerte darauf der so Angesprochene, sein feistes Gesicht lief jetzt noch mehr an, es war ohnehin schon von roten Flecken übersät gewesen — und dann brach er in ein leutseliges, ja in ein gutmütig breites Lachen aus. »Es geht doch nicht um uns, keineswegs«, meinte er, die Stimme dämpfend, in jener Tonart, die dem Flüstern näher ist als der normalen Stimmlage, der Kellner im Hintergrund hatte, die über den Arm gelegte Serviette zurechtrückend, wegen des lauten Gelächters schon missbilligend herübergeschaut: »Das Spielchen dreht sich doch nicht um uns! Worum dreht sich’s denn, na? — Um die Zukunft natürlich, um diese wunderschöne Fee!«
Die Szene spielte im CaM IMPERIAL in Wien, in jenem prächtig inszenierten Raum, der auf die Ringstraße hinausgeht, die beiden Herren saßen auf der gepolsterten Bank, die an der Wand entlangführt und mit kleinen Marmortischen bestückt ist. Gerade oberhalb der Herren und ihrer Köpfe hing eine märchenhaft aufgefasste Alpenlandschaft in schwerer Goldrahmung, auf dem Tischchen vor ihnen standen Tassen samt halb vollen Wassergläsern, die Sonne schien hell durch die großen Fenster, der im Hintergrund postierte Kellner hatte sich beflissen am Kuchenbüfett zu schaffen gemacht. Nur wenig Leute da! Wenig Kundschaft! — Es ist ja auch erst elf Uhr, dachte Weill, sein Blick hatte dabei seine Armbanduhr kurz gestreift. Jetzt sitze ich schon eine geschlagene Stunde mit dem Trottel herum, und nichts geht weiter. »Wissen Sie was? Ich will Ihnen etwas erzählen. — Es war einmal ein kleiner Junge«, hob er an und unterdrückte dabei mit forscher Miene jeden etwa aufkeimenden Protest, »die Familie stammte aus einem abgelegenen Nest in der Westschweiz her, wo sie sich seit Generationen mehr schlecht als recht mit dem Uhrmachen durchgebracht hatte.“
Peter Rosei (Wenen, 17 juni 1946)