De Duitse schrijver en arts Jens Petersen werd geboren op 20 maart 1976 in Pinneberg. Zie alle tags voor Jens Petersen op dit blog.
Uit: Bis dass der Tod
„Nana, flüsterte er.
Nun hockt er auf einem Findling am Ufer, kneift die Augen zusammen und horcht inmitten des eisigen Morgengrauens in sich hinein. Sie sind allein; die ersten Wanderer werden erst später kommen, bloß der zerzauste Hund streunt im Dickicht des Schilfs umher, uriniert an den Grenzpflock und humpelt schließlich Richtung Wald, tief geduckt, mit hängendem Schwanz, am Steiß eine schwarze Wunde.
Alex schaltet den Gaskocher ein, rührt Kaffee in das trübe Wasser und legt die Tabletten aus dem Dispenser auf den schmalen Tisch, zwei große gelbe, die bitter schmecken, dazu eine weiße mit Zuckerhülle und dem Schriftzug eines bankrotten Konzerns. Nana kauert auf der Matratze und lauscht mit offenem Mund einem Sinfoniekonzert im Radio. Alex kann sehen, wie sie mit den Lidern blinzelt, zweimal.
Meinst du, sagt er.
Noch ein Blinzeln.
Ist gut, sagt Alex. Moment.
Er bückt sich und nimmt eine der weißen Einwegspritzen aus dem Kühlschrank. In seinem Inneren zieht sich seit ein paar Tagen alles zusammen; nie hat er solche Krämpfe gehabt, nie war sein Kopf so leer und dabei so schwer, so erfüllt von Stechen, Ziepen und diesem Rumoren. Manchmal meint er, Stimmen zu hören. Dann wäre alles aus. Hörte er Stimmen, würde er keinen Schritt mehr weitergehen, aber es ist bloß eine Art Murmeln, und meistens verebbt es im Nichts.
Er presst die Kanüle auf die Spritze und schiebt sie dann beinah bis zum Anschlag in das Fläschchen mit dem Morphium. Das Zeug ist zu schwach, Nana zu schaden; es nimmt ihr nicht mal den Schmerz. Er zögert, geht dann die kurze Strecke vom Herd hinüber zum Bett, hört das Tappen seiner Füße auf dem Laminat. Manchmal sieht er sich, wie er linkisch versucht, einen Verschluss zu öffnen oder auf dem Boden verschüttete Tabletten zusammenkratzt. Wie er singt, etwas vorliest oder Nana die Hand hält; wie er sie stützt und mit ihr spricht, fast, als versuchte er, etwas mit seiner Spucke zu kitten, das in Abermillionen harter Teile zerborsten ist.“
Jens Petersen (Pinneberg, 20 maart 1976)