Navid Kermani, Nicole Brossard

De Duits-Iraanse schrijver en islamist Navid Kermani werd geboren op 27 november 1967 in Siegen. Zie ook alle tags voor Navid Kermani op dit blog.

Uit: Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen

„Manche sagen: Das Leben ist, was es ist, das Ergebnis von chemischen, atomaren und genetischen Prozessen, sozusagen ein Supercomputer, der sich durch Trial and Error von selbst immer weiterentwickelt, durch Versuch und Irrtum, Auslese und Anpassung, Ursache und Wirkung. Opa gab dann stets zu bedenken, dass irgendwer diesen Computer, der alles in Gang setzt, doch gebaut und programmiert haben müsse. Und wenn die anderen beharrten: Nein, es gebe niemanden, der das Leben baut und programmiert, das entstehe von selbst und verschwinde auch wieder wie ein Tropfen Wasser, der verdampft und sich in Luft auflöst – dann sagte Opa immer: Etwas, das ist, kann nicht einfach nichts werden, weder ein Tropfen Wasser noch der Mensch oder überhaupt unsere Existenz. Und er behauptete sogar, dass die Vorstellung, etwas könne zu nichts werden, für Kinder beinah denkunmöglich sei. Und weißt du was? Ich glaube, Opa hatte sogar recht.
Es ist doch interessant, dass Kinder, wenn ich mich nicht täusche, so gut wie nie am Sinn des Lebens zweifeln, auch gar nicht groß darüber grübeln, Erwachsene hingegen sehr wohl. Oh ja, und wie sie zweifeln und grübeln! Also muss zwischen dem Kindsein und dem Erwachsen-sein etwas unseren Glauben erschüttern, dass alles schon seine Ordnung habe. Versuch dich selbst zu erinnern: Hast du früher, als du noch klein warst, etwa viel über den Tod nachgedacht? Doch wohl eher nicht. Du wusstest zwar, dass wir alle sterben, aber es hat dich nicht beschäftigt; es kam dir vor, als würde das Leben schon irgendwie weitergehen. Angst hattest du schon mal gar nicht, im Gegenteil: Für dich war es das Natürlichste der Welt, wenn ich vom Jenseits sprach, vom Himmel, von Engeln und vom ewigen Leben. Du konntest dir einfach nicht vorstellen, dass etwas, was ist, plötzlich nicht mehr sein soll, von einem auf den anderen Atemzug.
Erst jetzt, da dein eigener Opa gestorben ist und du auch älter geworden bist, immerhin schon zwölf, hast du den Tod von Angesicht zu Angesicht kennengelernt. Und du hast geweint am Grab. Du hast gemerkt, da stimmt etwas nicht, Opa ist jetzt weg, er wird dir nie mehr eine Geschichte erzählen, du wirst nie wieder im Sommer mit ihm ans Meer fahren. Vielleicht hast du zum ersten Mal darüber nachgedacht, dass du selbst einmal unter der Erde liegen wirst in so einem kalten, unwirtlichen Grab. Dass wir alle zu Staub werden, deine Mutter, dein Vater, deine Schwester. Und ich glaube, es ist unter anderem genau diese bewusste Begegnung mit dem Tod, die zwischen dem Kindsein und dem Erwachsensein geschieht. Es muss gar nicht unbedingt ein bestimmter Mensch sein, der stirbt; ich meine einfach die klare Einsicht, dass wir alle irgendwann nicht mehr da sein werden, niemand von uns.
Und zwei, drei oder spätestens vier Generationen nach uns auch niemand mehr, der sich an uns erinnert.“

 

Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

 

De Canadese dichteres en schrijfster Nicole Brossard werd geboren op 27 november 1943 in Montreal (Quebec). Zie ook alle tags voor Nicole Brossard op dit blog.

 

Steden met hun naam

in de verte Praag, de brug de burcht
de tijd op de klokkentoren
de klokkentoren in de geschiedenis
de Joodse begraafplaats op de hoek
Skopje, Istanbul andere alfabetten
handel in uren en specerijen als een rivier
rode saffraan pulserend in de tijd

 

Vertaald door Frans Roumen

 

Nicole Brossard (Montreal, 27 november 1943)

 

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Navid Kermani, Nicole Brossard

De Duits-Iraanse schrijver en islamist Navid Kermani werd geboren op 27 november 1967 in Siegen. Zie ook alle tags voor Navid Kermani op dit blog.

Uit: Zwischen Koran und Kafka

„Gott-Atmen. Goethe und die Religion
Stellen wir uns vor, wir würden nichts tun. Wir lägen bequem, die Hände neben dem Körper, hätten die Augen geschlossen, ringsum keinerlei Geräusche, fühlten keinen Schmerz, nicht einmal die Verspannung dieses oder jenes Muskels, frören weder, noch schwitzten wir. Wir würden sofort merken, daß wir nicht nichts tun können.
Wir würden immer noch atmen. Wir hörten, wie die Luft hauchend in die Nasenlöcher oder mit einem leisen Zischen zwischen Lippen und Zähne strömt; wir bemerkten, wenn wir genau darauf achte¬ten, das Kribbeln in der Kehle beim Durchzug der Luft; wir spürten je nachdem, wohin wir atmen, die Brust oder den Bauch sich wei¬ten, bevor der Atem wendet und die Kehle hinauf wieder aus dem Mund oder der Nase strömt, Brust oder Bauch sich senken. Wir
könnten die Luft anhalten, allerdings nur für einige Sekunden, bei sportlicher Konstitution etwas länger, eine Minute vielleicht oder zwei. Danach atmeten wir umso kräftiger wieder aus. Wir bestimmen nicht den eigenen Atem – nicht einmal über den eigenen Atem bestimmen wir. Über die elementarste Tätigkeit des Lebens haben wir – ich will nicht sagen: keine, aber nur minimale, nur einige Sekunden oder ein, zwei Minuten Verfügungsgewalt. Sind wir es dann überhaupt selbst, die atmen?
Es gibt wahrscheinlich keine andere Frage, an der sich der Unter¬schied zwischen einem religiösen und einem Bewußtsein, das die Welt rein immanent erklärt, präziser, anschaulicher, auch grundlegender festmachen ließe als die Frage nach dem eigenen Atem. Gott ist im Vergleich ein nachrangiger, vor allem ein zu abstrakter, letzt¬lich nicht erklärbarer Begriff – man kann religiös sein, ohne Gott im Munde zu führen; man muß das Wort nicht einmal kennen oder mag es für den Sprachgebrauch verwerfen. Erst recht amorph sind alle anderen Begriffe, die die monotheistischen Traditionen der Re¬ligion zuweisen: die Offenbarung, das Heilige, die Schöpfung. Selbst wenn wir uns, etwa auf der Grundlage langjähriger Spekulation oder einer spirituellen Erleuchtung, im klaren darüber zu sein meinten, was genau wir darunter verstehen, hätten wir keinen An¬halt, daß andere dasselbe verstehen oder vor zweihundert oder zweitausend Jahren verstanden haben. Es sind Begriffe, die eine lange, nicht nur in den Glaubens¬, mehr noch in den Sprachgemein¬schaften je spezifische Geschichte angereichert haben, mithin weit davon entfernt sind, etwas unmittelbar Angeschautes zu bezeich¬nen, wie man es für das Wort ‹Holz› sagen könnte oder für ‹Milch›, selbst für das Kulturgut ‹Brot›. Einen Laib Brot, ein Stück Holz, ein Glas Milch könnten wir jedem Menschen auf der Welt zeigen, und er wüßte es in aller Regel präzise in seine Sprache zu übersetzen –
nicht so mit der Offenbarung, dem Heiligen, der Schöpfung, erst recht nicht mit Gott.“

 

Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

 

De Canadese dichteres en schrijfster Nicole Brossard werd geboren op 27 november 1943 in Montreal (Quebec). Zie ook alle tags voor Nicole Brossard op dit blog.

 

Weerklinkende steden

steden met het woord koraal
om de schaduw van de aderen
van binnenuit te observeren

galopperend met het schuim en de weerklank
van woorden en luchtspiegelingen in onze mond

ik zou graag terugkomen

zo vaak dat de horizon
van hitte beeft

verrast door kleine herhalingen van tederheid
door verwondingen keer op keer

 

Vertaald door Frans Roumen

 

Nicole Brossard (Montreal, 27 november 1943)

 

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Navid Kermani, Nicole Brossard

De Duits-Iraanse schrijver en islamist Navid Kermani werd geboren op 27 november 1967 in Siegen. Zie ook alle tags voor Navid Kermani op dit blog.

Uit: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum

„Der katholische Freund schließt nicht aus, daß der Evangelist Lukas persönlich das Bild gemalt habe. Er hat Artikel darüber geschrieben, wie er es aufstöberte, von denen ich erst einen las. Im Labor ist das Holz noch nicht untersucht worden. Die Nonnen hätten Sorge, weil es bereits so morsch sei. Kunsthistoriker hätten das Bild allerdings für eindeutig antik befunden, erstes Jahrhundert sei wahrscheinlich. Die Jungfrau hat auch mich angeschaut, ohne Alter.
Der Freund brachte mich zu dem Kloster, das in einer gewöhnlichen Wohnstraße auf dem Monte Mario liegt, am anderen Ufer des Tibers neben dem Hilton, und ließ sich durch eine Sprechklappe in der bröckligen Seitenmauer den Schlüssel aushändigen, während ich im Auto wartete. Bevor er mich in die Kapelle führte, wo die Nonnen das Bild bereits für uns umgedreht hatten, pinkelte er noch ins Gebüsch neben dem Eisentor. Gewöhnlich schaut die Jungfrau in den Gebetsraum der Nonnen, die sich lebenslang eingesperrt haben, weder Besucher empfangen noch auf Reisen gehen oder auch nur spazieren oder einkaufen. Gott genügt.
Durch das vergitterte Fenster, in dem das Bild hängt, sahen wir einige von ihnen und hörten alle im fahlen Licht beten, bis übers Kinn verschleiert, weißes, gestärktes Gewand, schwarze Hauben. Fünf der dreizehn Schwestern sind über achtzig. Die in dem Ausschnitt der Gebetsbank saßen, den ich durch das Fenster sehen konnte, waren nicht jünger. Auf den kahlen Wänden ihrer Barockkirche zeichnen sich groß-flächig die Wasserflecken ab. Der Freund sagt, daß die Leitungen verrotten, die Telefone nicht funktionieren und an Reparatur nicht zu denken ist, bevor das Kloster seine Schulden begleicht. Die Bitte um Spenden ist der Teil ihres Gebets, dessen Erfüllung noch aussteht.
Nach einigen Minuten löschten die Nonnen das Licht, so daß wir nur noch ihre Stimmen hörten, ein Vers tief, ein Vers hoch, Singsang mit Pausen, ohne daß ich ein Wort verstand. Seinem Buch hat der Freund ein Zitat des zurückgetretenen Papstes vorangestellt, das nichts Neues sagt, doch immer wieder neu zu sagen ist: «Große Dinge werden durch die Wiederholung nicht langweilig. Nur das Belanglose braucht die Abwechslung und muß schnell durch anderes ersetzt werden. Das Große wird größer, indem wir es wiederholen, und wir selbst werden reicher dabei und werden still und werden frei.» In Rom wurde ich ohnehin neidisch aufs Christentum, neidisch selbst auf einen Papst, der auch solche Sätze sagt, und wenn ich den Gedanken der Inkarnation in nur einem Menschen nicht für grundverkehrt hielte und speziell die ¬katholische Vorstellungswelt mir nicht so heidnisch vorkäme, mich die Ordnung nicht abstieße, die alle und eben auch die menschlichen Verhältnisse hierarchisiert, die Demonstration von Macht in jeder katholischen Kirche, dazu die bis in den Blutrausch reichende Leidensvergötterung, womöglich hätte ich mich seinen Praktiken nach und nach angeschlossen, hätte die lateinische Messe besucht und wäre mit Pausen in den Singsang eingefallen, wenngleich anfangs mehr aus ästhetischen Gründen, vielleicht auch aus Faszination für die beispiellose Kontinuität einer Institution, die aus Gottes Angehörigen eine Gemeinschaft bildet. Nur ihr ist sie auf Dauer gelungen. Wer weiß, vielleicht wäre auch mir eines Tages das Wunder erschienen, das dieses prächtigste aller Himmelsgebäude hervorgebracht hat. So halte ich die Möglichkeit zwar weiterhin für falsch – aber erkenne, mehr noch: spüre, warum das Christentum eine Möglichkeit ist.“

 

Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

 

De Canadese dichteres en schrijfster Nicole Brossard werd geboren op 27 november 1943 in Montreal (Quebec). Zie ook alle tags voor Nicole Brossard op dit blog.

 

Steden met een gezicht

zo velen ontvingen ideeën als een kloof
in mijn spieren
in de buurt zeggen we dat jij het bent, maar wij zijn het
met een gedachte aan bruggen, ghats
rivieren in tijden van vrede en marteling

een streling langs de oorlel
steden gemaakt om ons in verwarring te brengen
in de blauwe schoonheid van de droom

 

Vertaald door Frans Roumen

 

Nicole Brossard (Montreal, 27 november 1943)

 

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Navid Kermani, Nicole Brossard, Han Kang, Philippe Delerm, James Agee, Jos. Habets, Friedrich von Canitz, Jacques Godbout, Saskia Goldschmidt

De Duits-Iraanse schrijver en islamist Navid Kermani werd geboren op 27 november 1967 in Siegen. Zie ook alle tags voor Navid Kermani op dit blog.

Uit: Große Liebe

„Der Leser darf sich den Jungen nicht eigentlich befangen, verwirrt, schwachmütig vorstellen. In seiner eigenen Klasse bewegte er sich mit breiter Brust, galt manchen Mitschülern als überheblich, den Lehrern als aufmüpfig, das Wort der Eltern mißachtete er oft. Auch war er nicht ganz ohne Erfahrung, zog mit seinen langen dunklen Locken durchaus die Blicke auf sich. Mit gleichaltrigen Mädchen war er schon mehrmals »gegangen«, wie es noch hieß. Daß er mit keiner geschlafen hatte, war für das Alter nicht ungewöhnlich, beunruhigte ihn jedenfalls kaum. Sosehr ihn das Geheimnis beschäftigte, das die Vereinigung zweier Körper ihm war, ahnte er zugleich dessen Bedeutung im Leben und hatte sich vorgenommen, auf eine Verbindung zu warten, die den Namen Liebe verdiente. An die Schönste des Schulhofs dachte er nicht. Als er die Pausen bereits in der Raucherecke verbrachte, dachte er nicht im Traum oder genau gesagt ausschließlich unter der Bettdecke daran, sie jemals zu küssen, sie nackt vor sich zu sehen. So viel Wirklichkeitssinn besaß er, um zu erkennen, daß die Schönste sich nicht für jemanden interessieren würde, der noch zu jung für die Raucherecke war. Der Leser darf eine plausible Erklärung erwarten, warum es den Jungen dennoch zwischen die breiteren Rücken zog, wo er sich tatsächlich so befangen, verwirrt und schwachmütig fühlen mußte, wie ich es auf der gestrigen Seite beschrieb. Seit vier Tagen versuche ich mir den Hergang zu erklären, meine Erinnerung ähnelt hier einem Film, aus dem ein Zensor die entscheidenden Szenen herausgeschnitten hat. Ich habe vor Augen, wie der Junge in einem langen Gang, der zwei Gebäude des Gymnasiums verband, auf die Schönste zulief, wie ihre Blicke sich trafen und sofort wieder trennten, sich ein zweites und drittes Mal begegneten; ich vergesse nie das Lächeln, das er auf ihren Lippen wahrzunehmen meinte, bevor sie aus dem Sichtfeld trat; ich erinnere mich vage der süßlichen Phantasien, denen er sich auf den restlichen Metern des Gangs und noch im Unterricht überließ, ohne länger als Sekunden an die Erfüllung zu glauben, er als ihr Geliebter, sie beide Hand in Hand, die erstaunten Blicke seiner Klassenkameraden.
Danach steht er im Film, den der Zensor geschnitten hat, bereits zwischen den breiteren Rücken. Nur mutmaßen kann ich, wieviel Überwindung es ihn kostete, sich in die Raucherecke zu stellen und, mehr noch: jede Pause wiederzukehren, sofern keiner der strengen Lehrer Aufsicht führte, jede Pause die Blicke zu ertragen, die über die Schultern geworfen wurden, jede Pause dem getuschelten Spott zu trotzen, den er zu hören glaubte, zwei oder drei Schritte von der Schönsten entfernt, unter dem Schattendunkel ihres Haars — gut, sie war blond — ihr Gesichtchen eine Lampe oder war auch eine Fackel, umflattert von Rabengefieder, wie der Dichter Nizami im 12. Jahrhundert über die sagenhafte Leila schrieb: »Wessen Herz hätte beim Anblick dieses Mädchens nicht Sehnsucht gefühlt? Aber Madschnun fühlte mehr! Er war ertrunken im Liebesmeer, noch ehe er wußte, daß es Liebe gibt. Er hatte sein Herz schon an Leila verschenkt, ehe er noch bedenken konnte, was er da weggab.“

 


Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

 

De Canadese dichteres en schrijfster Nicole Brossard werd geboren op 27 november 1943 in Montreal (Quebec). Zie ook alle tags voor Nicole Brossard op dit blog.

 

Towns really

towns with their ancient piles of misfortune
wavering
between memory and floods of virtual fury
until
the black and very-gray of dust and cries
make in my mouth
an erosion of life that cannot be shared

 

Echoing towns

towns with the word coral
in order to observe from inside
the shadow of veins

galloping with the foam and echo
of mirages and words in our mouths
I want comes back
so often the horizon quivers
with ardor
surprises with small tendernesses,
or wounds again and again

 

Towns with faces

so many received ideas like a chasm
in my muscles
someone says very close it’s you but it’s us
thinking about bridges, ghats,
rivers in a time of peace and torture

a caress along the earlobe
towns made to confound our soul
in the blue beauty of a dream

 

Vertaald door Sylvain Gallais en Cynthia Hogue

 

 
Nicole Brossard (Montreal, 27 november 1943)

 

De Zuid-Koreaanse schrijfster Han Kang werd geboren op 27 november 1970 in Gwangju, in de provincie Zuid-Cholla. Zie ook alle tags voor Han Kang op dit blog.

Uit: Human Acts

‘Take off your clothes,’ Seong-hee bellowed. ‘All of us together, let’s all take off our clothes.’ It was impossible to say who was first to respond to this rallying cry, but within moments hundreds of young women were waving their blouses and skirts in the air, shouting ‘Don’t arrest us!’ Everyone held the naked bodies of virginal girls to be something precious, almost sacred, and so the factory girls believed that the men would never violate their privacy by laying hands on them now, young girls standing there in their bras and pants. But the men dragged them down to the dirt floor. Gravel scraped bare flesh, drawing blood. Hair became tangled, underwear torn. You mustn’t, you mustn’t arrest us. Between these ear-splitting cries, the sound of square cudgels slamming into unprotected bodies, of men bundling girls into riot vans.
You were eighteen at the time. Dodging a pair of grasping hands, you slipped and fell onto the gravel, grazing your knees. A plain-clothes policeman stopped in his wild dash forward just long enough to stamp on your stomach and kick you in the side. Lying with your face in the dirt, the girls’ voices seemed to swing between yells and whispers as you drifted in and out of consciousness. You had to be carried to the emergency room of the nearest hospital and treated for an intestinal rupture. You lay there in the hospital bed, listening to the reports come in. After you were discharged you could have resumed the fight, stood shoulder to shoulder with your sisters. Instead, you went back down south to your parents’ home near Gwangju. Once your body had had enough time to heal, you went back up to Incheon and got a job at another textiles factory, but you were laid off within a week. Your name had been put on the blacklist. Your two years’ experience working in a textiles factory was now worth nothing, and one of your relatives had to pull some strings to get you a job as a machinist at a Gwangju dressmaker’s. The pay was even worse than when you’d been a factory girl, but every time you thought of quitting you recalled Seong-hee’s voice:
And that means . . . we are noble. You wrote to her, calling her onni, older sister. I’m getting on fine, onni. But it looks like it’ll be a while before I can learn how to be a proper machinist. It’s not so much that it’s a tricky technique to learn, just that I’m not being taught very well. All the same, I have to have patience, right?”

 


Han Kang (Gwangju, 27 november 1970)

 

De Franse schrijver Philippe Delerm werd geboren op 27 november 1950 in Auvers-sur-Oise. Zie ook alle tags voor Philippe Delerm op dit blog.

Uit: Les eaux troubles du mojito

“On fête la convivialité de se retrouver en terrasse, de parler sans restriction. Prendre un cocktail, c’est chaud. Il y a souvent des couleurs d’îles, des rouges tropicaux, des saveurs de noix de coco, un petit côté soleil Club Med à boire au deuxième degré, en se moquant de sa propre soif, d’une gourmandise enfantine que le rhum va créoliser.
Et puis il y a le mojito. Trrrrrr ouille ouille ! Le mot est sud-américain. Mais on attend bien autre chose. On a beau continuer à suivre la conversation, feindre l’indifférence, quand le serveur dépose le verre sur la table, on sent qu’une aventure commence.
C’est tellement pervers, tellement trouble. D’emblée, une invite à plonger, à s’embarquer vers des fonds sous-marins qu’on aura bien du mal à maîtriser. On va nager à la recherche d’une épave, peut-être, ou bien pour caresser des algues étranges, qui veulent emprisonner ou caresser, l’équivoque est tentante.
Le mojito, c’est à la fois opaque et transparent. Dans les verts, bien sûr, mais dans les noirs aussi, avec des zones un peu plus claires à la surface et des mystères insondables tout au fond de l’apnée. On y trempe les lèvres, surpris de cette fraîcheur qui sait prendre les oripeaux d’une moiteur de marigot. Tout cocktail impose une consommation lente, entrecoupée de pauses, d’abandons et de retours. Avec le mojito, on ne domine rien. La dégustation devient fascination, et c’est lui qui commande. Le plus étonnant est cette persistance du sucré dans une mangrove aux tons si vénéneux. On se laisse pénétrer par une fièvre froide, on s’abandonne. Au bout de cette errance glauque on sait que vont venir une chaleur, une euphorie. Mais il faut dériver dans la forêt feuilles de menthe, ne pas craindre de s’engloutir, abandonner l’espoir de la lumière. Nager toutes les transgressions, se perdre, s’abîmer, chercher infiniment, descendre. Alors montera le plaisir.

 


Philippe Delerm (Auvers-sur-Oise, 27 november 1950)

 

De Amerikaanse dichter en prozaïst James Agee werd geboren in Knoxville, Tennessee.op 27 november 1909. Zie ook alle tags voor James Agee op dit blog.

 

Sonnet II

Our doom is in our being. We began
In hunger eager more than ache of hell:
And in that hunger became each a man
Ravened with hunger death alone may spell:
And in that hunger live, as lived the dead,
Who sought, as now we seek, in the same ways,
Nobly, and hatefully, what angel’s-bread
Might ever stand us out those short few days.
So is the race in this wild hour confounded:
And though you rectify the big distress,
And kill all outward wrong where wrong abounded,
Your hunger cannot make this hunger less
Which breeds all wrath and right, and shall not die
In earth, and finds some hope upon the sky.

 

Sonnet III

The wide earth’s orchard of your time of knowing,
Shine of the springtime pleasures into bloom
And branched throes of health: but soon the snowing
And tender foretaste of your afterdoom,
Of fallen blossoming air persuades the air
In hardier practices: and soon dilate
Fruits and the air together that shall bear
Earthward the heavied boughs and to their fate:
Wrung of the wealth and wonder they unfurled
By that same air: which air the sun deranges
To slope the living season from the world
And charge the world with snow that all estranges.
Watch well this sun, and air, and orchard green:
None stay these changes every man has seen.

 


James Agee (27 november 1909 – 16 mei 1955)
Covers

 

De Nederlandse schrijver, priester en archivaris Joannes Josephus (Jozef) Habets werd geboren in Oirsbeek op 27 november 1829. Zie ook alle tags voor Jos. Habets op dit blog.

 

Een liedeken van de Bockenrijders uit het jaar 1743. (Fragment)

Tot Herten geen ik mette spoed,
Daer men ook heeft gevonden.
Kaumer daerbij, al weest gegroet!
Op die Zocht al heeft (sich) verbonden,
Die Spekeserheijdt mit Overhei,
Maer Kerckeraedt het meeste deil.
Het landt van der Heijden wordt bange.
Van de Blijerheidt sijnder gevangen.

Op den Kaffenberg was den enten verstakt,
Die ons allen heeft verraeden.
Den enten daeh wordt hij gepakt
Ende gevoert naar Kerckeraede
Gevangen ende geboenden.
Toe Herten hat men der gevoenden.
Toe Mercksteljn (ende overall)
Woendt onsen zoeten generael,

Op den Hoestert, daer al met spoet,
Men der oock heeft gevonden.
In die Groenstraet, alsoo benoempt
Daer wij te samen stoenden;
Tot Mergenberg al mit onzahle
Gevangen vast in een zael.
Tot Braechelen in het Gulkerlandt
Tot Poeffendorp al mit schandt.

 

 
Jos. Habets (27 november 1829 – 22 juni 1893)
Beeld van een bokkenrijder op de Markt in Schaesberg

 

De Duitse dichter, schrijver en diplomaat Friedrich Ludwig Rudolf Freiherr von Canitz werd geboren op 27 november 1654 in Berlijn. Zie ook alle tags voor Friedrich von Canitz op dit blog.

 

Zufriedenheit im niedrigen Stande

Ich trachte nicht nach solchen Dingen,
Die hoch und zu gefährlich sind;
Mein Geist sucht nirgend durchzudringen,
Als wo er leichte Bahne findt.
Ich ruhe sanfft biß an den Morgen,
Wenn mancher, welcher voller Sorgen,
Nach eitler Hoffnung ängstlich ringt,
Der blinden Göttin Weyrauch bringt.

Ich mercke, daß in unserm Leben
Was Göttliches mit unter spielt;
Wer sich will zu den Sternen heben,
Und diesen Trieb nicht bey sich fühlt,
Muß endlich gar ein Spott auf Erden,
Ja, sich selbst Höll und Hencker werden:
Weil der, der sich am meisten quält,
Zu erst offt seinen Zweck verfehlt.

Wer will, mag in den Lüfften fliegen,
Mein Ziel erstreckt sich nicht so weit;
Ich lasse mich mit dem begnügen,
Was nicht bemüht, und doch erfreut.
Ein andrer mag sich knechtisch beugen,
Um desto höher aufzusteigen,
Ich neid ihn nicht in meinem Sinn,
Und bleibe gerne wer ich bin.

 


Friedrich von Canitz (27 november 1654 – 11 augustus 1699)
Cover

 

De Canadese dichter, schrijver, essayist en filmmaker Jacques Godbout werd geboren op 27 november 1933 in Montreal, Quebec. Zie ook alle tags voor Jacques Godbout op dit blog.

Uit: The World of the Gift (Vertaald door Donald Winkler)

“But how can we understand unilateral gifts to strangers?
According to this typology, the gift to strangers is characterized by what Sahlins calls “negative reciprocity” and is aimed at a return exceeding what has been given. We have seen that this rule of profitable return does not apply to the contemporary sphere of unilateral gifts to strangers, such as blood and organ donations. Nor does it apply to donations in time of disaster or volunteer work.
And there are mutual support groups, which sometimes create a bond that crosses frontiers, so that a member of Alcoholics Anonymous, wherever he is, can phone someone who will help him with his problems. In all these cases, contrary to what Sahlins says, there is no correlation between the proximity of the protagonists and the elasticity of equivalence.
We have said that this sphere of the gift to strangers is quintessentially modern. Why? First, most gifts in most societies, according to Sahlins, are mediated by networks of personal affinity, primary ties such as family or friendship. But these gifts are not, or such mediation is not essential to them. Often we have no idea of the specific recipient, despite, as noted elsewhere, the consistent tendency to personalize the relationship and to reduce the number of intermediaries other than the donors themselves, those inscribed in the system of the gift and imbued with its spirit.
But, one could reply, religions, Christianity especially, have always encouraged this sort of gift. The “love of the stranger” is an essential tenet of Christianity, and the charitable gift is never restricted only to those near and dear. On the contrary, one’s neighbour is held to be all of humanity. Religious communities are exemplary in this regard, though their future is insecure.
Their members are in some sense “professionals in the gift,” an unthinkable category for modern theory, whether Marxist or liberal or feminist, whose basic concepts are those of exploitation, domination, and utilitarianism. (Although it is difficult to see how anyone can feel they have correctly understood such communities when they portray the vow of poverty as just another form of exploitation or hypocrisy.)
But religion is not specifically modern, so how can we claim that the gift to strangers is exclusive to the modern gift? It is very likely that this sort of gift has its roots in the great religions, especially Christianity but the current link between religion and the gift to strangers is much more tenuous, and often non-existent. Religions, while playing an important role, are no longer indispensable to this phenomenon and their influence is often reflected privately, in a personal spirituality that keeps its own council. What is clear is that all the people we met insisted on repudiating the traditional religious model for the charitable gift: the gift as a form of sacrifice made in order to go to heaven.”

 


Jacques Godbout (Montreal, 27 november 1933)

 

Onafhankelijk van geboortedata

De Nederlandse schrijfster Saskia Goldschmidt werd geboren in Amsterdam in 1954. Zie ook alle tags voor Saskia Goldschmidt op dit blog.

Uit: De hormoonfabriek

“Ezra is erbij gelapt, de sukkel. Mizie heeft geprobeerd het voor me te verbergen, maar het jonge ding dat haar helpt met mijn gênante verzorging vergat haar krant. Voorpaginanieuws, dat heeft hij dan weer wel voor elkaar gekregen. Gebrek aan beheersing op het meest cruciale moment van zijn leven. Die jongen is altijd grenzeloos geweest. In zijn passies, zijn ambities, zijn eerzucht en zijn lichamelijke behoeftes. Een honger naar meer, altijd. Of het nu om eten gaat, om aandacht, macht of seks, nooit heeft hij genoeg. Die angst om niet gezien en overgeslagen te worden, het zat in hem vanaf het moment dat zijn moeder hem het leven schonk. Het lot van een nakomertje. Van jongs af aan genoodzaakt geweest zich in de belangstelling te vechten. De gulzigheid waarmee dat kind zich aan de borst van zijn moeder vastzoog heb ik bij geen van de anderen gezien. Hij was haar vanaf het eerste moment aan het uitvreten. Zo hardhandig dronk dat wurm en zo vastberaden leek het om de laatste druppel uit zijn moeder weg te zuigen. Gejankt heeft ze van de pijn, die tandeloze mond die zich haar tepel toe-eigende en hem weigerde los te laten, ook al schreeuwde ze het uit. Een klein monster was het, onze benjamin. Rivka, die altijd met zoveel plezier haar kinderen zoogde, was snel klaar met hem. Haar gemoedsrust werd door hem weggevreten, het kostte haar te veel hartenbloed, dit kind. Ik betrapte haar toen ik onverwachts thuiskwam. Daar zat ze, fles in de hand, met een tegenspartelende Ezra. Het kind rood van het huilen, graaiend naar haar borst, die ze stevig achter haar enorme bh en haar zwartkanten bloesje had afgeschermd. Rivka zat met een verhit hoofd, Ezra in de houdgreep, en duwde de weke rubberen speen van de fles zijn mondje in, waar hij zich dan weer walgend van ontdeed. Smaak heeft hij altijd gehad, mijn jongste. Toen ze me zag begon ze te huilen. `Mordechai, dit kind, dit koekoeksjong, ik heb het geprobeerd. Ik kan het niet. De vier meisjes heb ik allemaal met liefde gezoogd. Maar dit duivelskind, ik wil niet meer, zoek het maar uit met hem.’ Ze smeet de fles de kamer in, reikte me het krijsende kind aan, stond op en verliet het vertrek, huilend. Ik was even thuisgekomen om me te verkleden, stond op het punt naar Londen te vertrekken voor een belangrijke bespreking over het veiligstellen van onze buitenlandse belangen, het was februari 1939. Een lange bespreking zou het worden, met ongetwijfeld een frivool diner na om de goede afloop te vieren.”

 

 
Saskia Goldschmidt (Amsterdam, 1954)

 

Zie voor nog meer schrijvers van de 27e november ook mijn blog van 27 november 2017.

Navid Kermani, Nicole Brossard, Han Kang, Philippe Delerm, James Agee, Jos. Habets, Friedrich von Canitz, Jacques Godbout, Klara Blum

De Duits-Iraanse schrijver en islamist Navid Kermani werd geboren op 27 november 1967 in Siegen. Zie ook alle tags voor Navid Kermani op dit blog.

Uit: Große Liebe

„Das erste Mal hat er mit fünfzehn geliebt und seither nie wieder so groß. Sie war die Schönste auf dem Schulhof, stand in der Raucherecke oft nur zwei oder drei Schritte entfernt, ohne ihn zu beachten. Weil den Schülern der unteren Klassen verboten war, sich zu den Rauchern zu stellen, geschweige denn selbst eine Zigarette anzuzünden, verhielt er sich so unauffällig wie möglich, verhielt sich zwischen den breiteren Rücken wie ein blinder Passagier still. Den Kopf hob er nur an, um kurz nach den Lehrern, noch kürzer nach ihr zu schielen, die unnahbar für ihn stets den Mittelpunkt ihres Grüppchens zu bilden schien. Sowenig Hoffnung er sich machte, ihre Gunst je selbst zu erlangen, brachte ihn die Sorge dennoch um den Verstand, sie könne einem der Abiturienten, die sie umringten, mehr als nur wohlwollen. Zur Beruhigung redete er sich ein, daß sie ihre offenbar ansteckende Heiterkeit und ihre zweifellos erlesenen Worte gerecht mal diesem, mal jenem zudachte.
Im Blick behielt der Junge dabei stets die Finger der Abiturienten, ob sie nicht heimlich die Hände der Schönsten berührten, ihren Rücken, gar ihren Po.
Zugleich erwartete er bang, daß jemand sich umdrehte, um zu fragen, was er in der Raucherecke suchte. Mehrfach hatten ihn die Lehrer bereits vertrieben, deren ärgerlicher oder auch nur erstaunter Blick genügte, damit er sich verzog. Die Peinlichkeit ersparte er sich lieber, vor den Augen der Schönsten aus dem Pulk gezogen und zu den Gleichaltrigen verwiesen zu werden. Peinlich war dem Jungen seine Lage schon genug, da er sich einbildete, daß alle Raucher ihn beäugten, in jeder Sekunde ihn, obwohl sie ihm doch – aber hier setzte der logische Schluß aus – ihre Rücken zuwandten.“

 

 
Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

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Navid Kermani, Nicole Brossard, Philippe Delerm, Han Kang

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Uit: Sozusagen Paris

“– Aber nicht für Jutta.
Ich schaue zu der Frau hoch, die mir das Buch zum Signieren auf den Tisch gelegt hat, Anfang, Mitte Vierzig, taxiere ich sie, auffallend klein, schlichtes, vermutlich nicht billiges Kleid, das etwas zu eng geschnitten ist, der Leib zwar grazil, aber doch ein Pölsterchen vorm Bauch, die glatten blonden Haare wie mit dem Lineal auf Höhe des Kinns abgeschnitten, so daß ihr Kopf runder wirkt, als er wohl ist, und ihr Hals noch zarter, ja so fein wie ein Blumenstiel, geht mir ein Bild durch den Kopf, das der Lektor abgeschmackt finden wird, um die braunen Augen auffallend viele Linien allerdings, Falten würde ich’s nicht nennen, Krähenfüße nennt man es wohl, also älter jedenfalls, Ende Vierzig vielleicht und dennoch mädchenhaft, ihr Blick von mildem, beinah schon geschwisterlichem Spott, seltsam vertraut.
– Wie bitte?
– Schreib bloß nicht für Jutta, bekräftigt die Frau.
Unmittelbar nach Lesungen bin ich grundsätzlich verwirrt, erkenne selbst Freunde nicht wieder oder kann mich nicht auf ihren Namen besinnen. Auch jetzt dauert es, bis ich mich an das Lächeln erinnere, das die Lippen wie in Zeitlupe in die Länge zieht und die Wangen rund wie Aprikosen macht, es dauert – ich kann die Zeit nicht abschätzen – zehn Sekunden?, fünfzehn, hinter der Frau noch zehn, fünfzehn andere Menschen, die sich zum Signieren angestellt haben. Die Lesung lief ungewöhnlich gut; ohne einmal aufzusehen, spürte ich, wie die Zuhörer mit mir in der Geschichte versanken, wie ich jetzt ohne Hinsehen spüre oder mir einbilde, daß die Zuschauer meinen offenen Mund und die unruhigen Pupillen bemerken, mein nicht recht funktionierender Verstand, der das Lächeln hektisch einem bestimmten Punkt meines Lebens zuzuordnen sucht und noch immer nicht die Nase registriert hat, die mit der leicht nach oben gewölbten Spitze ein hinreichend deutliches Erkennungszeichen ist.“

 

 
Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

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Navid Kermani, Philippe Delerm, Han Kang, James Agee, Nicole Brossard, Jos. Habets, Friedrich von Canitz

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Uit: Der Schrecken Gottes

„Solange meine Erinnerung zurückreicht, versorgte er die Häuser aller Verwandten und Bekannten, auch jener, die in Europa und den Vereinigten Staaten leben, mit einem selbstentworfenen braunen Poster, auf dem «Remember God» in drei Sprachen stand, auf englisch, arabisch und persisch. Bei meinen Eltern hängt es noch heute im Flur.
Herr Ingenieur war fromm, aber nie kleingeistig. Ich war jung, um seine Größe zu überblicken, mein ältester Bruder jedoch berichtete mir, wie der Herr Ingenieur ihn einmal während der Ferien in Teheran zur Seite nahm und auf dessen Hosenlatz deutete. Mein Bruder stand damals kurz vor der Geschlechtsreife, die im Islam mit der Verpflichtung zum Ritualgebet einhergeht.
– Paß mal auf, sagte er meinem Bruder, du wirst bald an deinem Körper etwas ganz Besonderes und sehr Schönes bemerken. Dein Glied wird manchmal groß und fest werden, und vielleicht wachst du auch mal eines Morgens mit einem Flecken vorn in der Hose auf oder bemerkst, daß es Spaß macht, mit deinem Glied zu spielen. Vielleicht wird dann etwas Weißes aus deinem Glied spritzen, eine Flüssigkeit, die aussieht wie Milch. Das ist nicht schlimm. Das ist etwas Wunderbares. Das ist eines der schönsten Geschenke, die Gott uns gibt. Du mußt dich nicht schämen oder dich fürchten. Du darfst es genießen.
Bei allem Frohlocken über die Wohltaten Gottes vergaß Herr Ingenieur Kermani nicht, meinen Bruder auf die bevorstehende Verpflichtung zum Ritualgebet hinzuweisen. Daß ihm die Sexualität göttlich vorkam, machte ihn nicht zum Freigeist. Er nahm es als einen Grund mehr, Gott zu danken. Gott zu lieben hieß für den Herrn Ingenieur, die Schöpfung zu lieben. Gott zu dienen hieß für ihn, Gottes Geschöpfen zu dienen. Mein Bruder erzählte mir auch von der Hochzeit eines Bettlers, die der Herr Ingenieur ausgerichtet hatte. Der Bettler hatte ihn auf der Straße um ein Almosen gebeten, und der Herr Ingenieur hatte ihm statt dessen eine Arbeit besorgt, später eine Ehefrau vermittelt und dazu noch die Aussteuer bezahlt. Auch die anderen
Bettler und Bedürftigen der Nachbarschaft konnten sich auf ihn verlassen, und für die Waisenkinder Isfahans gründete er ein Heim, wie es heute noch in Isfahan kein größeres und besser organisiertes gibt.“

 

 
Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

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Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015 voor Navid Kermani

Aan de Duits-Iraanse schrijver en islamist Navid Kermani werd gisteren in de Frankfurter Paulskerk de Friedenspreis des Deutschen Buchhandels uitgereikt. Navid Kermani werd geboren op 27 november 1967 in Siegen. Zie ook alle tags voor Navid Kermani op dit blog.

Uit: Dein Name

„Wann er wieder zu beten aufhört, gehört nicht zum Gelübde. Er mag die Worte, ihren Klang, die Melodie der Reime genauso wie die Bedeutung, er mag die Bewegungen. Es könnte eine Befreiung sein, sich am Tag einige Mal zu verbeugen, sich niederzuwerfen auf die Stirn – und dann wieder aufrecht zu stehen. Wenn seit vierzehnhundert Jahren Menschen ebendiese Verse in eben dieser Abfolge von Körperhaltungen täglich fünfmal aufsagen, muß ein Segen darin wohnen. Ob es Gott gibt, steht auf einem anderen Blatt. Nicht um Ihn ist es den Religionen zu tun, von dem sie ohnehin nur Namen aussprechen, vielmehr um die Menschen, deren Handlungen mit oder ohne Gott genauso gut oder schlecht, richtig oder falsch, sinnvoll oder unnütz sind – sofern es ohne Gott gut oder schlecht gibt, richtig oder falsch, sinnvoll oder unnütz. Mit oder ohne Gott fing er heute morgen mit dem Gebet an, aber für den Vater, der keinen der vier Söhne je mit der Religion bedrängte und gerade deshalb mit Achtzig noch einen Freudensprung machen würde. Es war die einzige Möglichkeit, bei ihm zu sein, so empfand es der Jüngste, der gestern nachmittag mit der Frühgeborenen vor dem Bauch nichtsahnend aus dem Haus gegangen war, um zu spazieren, als der Internist auf dem Handy anrief. Weil die Operation der Herzklappe zu riskant schien und das Blut nicht gerinnt, hatte der Kardiologe im St. Marien allenfalls einen kleinen, oberflächlichen Eingriff in Erwägung gezogen, um die Drähte des Schrittmachers freizulegen, und deshalb einen Termin in einem Herzzentrum besorgt, wo der Chef dem Vater während der ersten Visite mitteilte, daß die Klappe ersetzt werden müsse, Risiko hin oder her, sonst läge die Lebenserwartung bei höchstens einem Jahr, wahrscheinlicher einem halben, gleich morgen also, da jeder Tag zählt, also heute, also jetzt, Donnerstag, 19. Juli 2007, 11:28, jetzt gerade liegt der Vater auf der gebogenen Streckbank aufgespannt wie auf einem großen Ball, rasiert von Hals bis Fuß, mit aufgeschnittenem Brustkorb, umringt von Ärzten, Schwestern, Apparaten, und Gott entscheidet sich, wenn es Ihn gibt, ob Er den Vater wieder zum Leben erweckt. Dem Sohn wird schlecht bei dem Gedanken, daß die Entscheidung gegen den Vater ausfallen könnte. Auch das Gebet hilft jetzt nicht mehr, schon ist die Wirkung verpufft. Kurz nach acht sollte die Operation beginnen, zweieinhalb Stunden sollte sie dauern, die Ärzte könnten also längst fertig sein, sie könnten sagen, puh, das scheint gutgegangen zu sein, oder das Gegenteil. Sie haben auch gesagt, daß es länger dauern könnte, je nachdem, was sie vorfinden und was mit der Blutgerinnung ist. Sie haben die besten, modernsten Apparate und eine neue Methode, der Chef selbst operiert, für sie ist es Routine, wie der Jüngste sich immer wieder zuredet, sie machen das jeden Tag und unter widrigen Umständen als bei dem Vater, nach Unfällen etwa, wenn die Patienten mit dem Hubschrauber eingeflogen werden und die Voruntersuchungen wegfallen.“

 
Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

Navid Kermani, James Agee, Nicole Brossard, Philippe Delerm, Jacques Godbout, Jos. Habets, Friedrich von Canitz

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Uit: Der Schrecken Gottes

„Sie mahnen – nicht mehr, aber zu unserem gelegentlichen Verdruß auch nicht weniger. Das ist die Religiosität, die sich mir als Kind eingeprägt hat, und so deutlich ich wahrnehme, welches Unheil heute gerade aus dem Islam erwächst, vergesse ich doch die Menschen nicht,
Denn es ist ihresgleichen nicht im Lande die mir bis heute die Tugend zum Vorbild geben, meinen Großvater zum Beispiel, der den getuschelten Spott seiner jungen, frechen Töchter ertrug, wenn er vor ihnen das Gebet der Großfamilie leitete. In seinen Memoiren hielt er als erstes stolz die Anekdote fest, wie unser Urgroßvater, ein hochangesehener Theologe, sich im Wortsinn schützend vor die Bahais in Isfahan gestellt hat, als andere Mullahs den Mob losließen; Anfang des letzten Jahrhunderts muß das gewesen sein. Mein Großvater ist als Großbürger überzeugter Demokrat gewesen und als Vertreter der Isfahaner Notabeln in den vierziger Jahren eigens nach Teheran gefahren – keine kurze Strecke damals –, um dem verblüfften Oppositionsführer Mossadegh mitzuteilen, daß er seinen Kampf gegen die Monarchie gutheiße. Liberal jedoch, wie wir es verstehen, war mein Großvater nicht, vielmehr ein konservativer Mann von orthodoxem Ernst, das Lob Gottes beständig auf den Lippen und mit strengen moralischen Ansprüchen an sich und seine Nächsten. Wenn er, der selbst an einer Theologischen Hochschule in Isfahan studiert hatte, den Kleingeist der Straßenprediger wie der Staatstheologen verächtlich machte, dann fühlte er sich nicht dem Geist der westlichen Aufklärung und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verpflichtet, sondern dem größten Geist, dem des Allmächtigen.
Da ist der Herr Ingenieur Kermani, der Mann meiner Tante Eschrat, der uns mit dem Backgammon auch das Beten lehrte, ein Kettenraucher vor dem Herrn, der seine immense Körpermasse am liebsten in Kleidung vom Stile Gamal Abdel Nassers zwang, jenen hellbraunen oder hellblauen Baumwollanzügen, bei denen die Jacke zugleich Hemd ist. Herr Ingenieur – den Titel,«Herr Ingenieur», vergaß ich selbst dann nicht zu nennen, wenn ich zu mir selbst sprach –,Kermani war eine wirklich imposante Erscheinung, der dickste und größte unter meinen Verwandten, den riesig-runden Schädel kahl und mit goldenem Vorderzahn im häufig lachenden Mund.”

 
Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

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Navid Kermani, James Agee, Nicole Brossard, Philippe Delerm, Jacques Godbout, Jos. Habets

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Uit: Über den Zufall

„Daß ich in der Vorlesung auf Jean Paul und Hölderlin eingehen müßte, wenn ich über den Roman sprechen wollte, den ich schreibe, genau gesagt über die Poetik des Romans, den ich schreibe, stand fest, noch bevor ich mich für den Haupttitel entschied, mit dem ich nun hadere. Der Roman selbst, den ich schreibe, bildet seine Poetik im Laufe der Lektüre von Jean Paul und Hölderlin aus. Eigentlich müßte ich zuerst über Hölderlin sprechen und dann erst über Jean Paul, weil der Enkel, Sohn, Vater, Mann, Liebhaber, Freund, Romanschreiber, Berichterstatter, Orientalist, die Nummer zehn oder Navid Kermani zunächst Hölderlin liest und erst sehr viel später Jean Paul. Indes habe ich in meinem Brief an die Universität Frankfurt, ohne es zu bedenken, im Untertitel der Vorlesung zuerst Jean Paul genannt, weil sich dadurch im Satz klanglich ein Ausströmen von den beiden einsilbigen Namen Jean und Paul über das dreisilbige Hölderlin zur längsten Einheit ergab, der Roman, den ich schreibe. Niemand würde mich hindern, wenigen es auch nur auffallen, wenn ich trotz der Reihenfolge im Untertitel dennoch mit Hölderlin begänne. Was mich daran hindert, die Reihenfolge umzukehren, ist eben die Poetik von der ich in der nächsten Stunde und an den vier kommenden Dienstag, so Gott will, zu Ihnen sprechen werde.
Wenn Sie den Roman kennten, den ich schreibe, würden Sie sehen, daß ich darin stets bemüht bin, dem zu folgen, was sich von selbst ergibt, »schlafen, wenn man müde ist, essen, wenn man hungert«, wie der Meister Baso Matsu im achten Jahrhundert die Lehre des Zen-Buddhismus zusammenfaßte.“ 


Navid Kermani (Siegen, 27 november 1967)

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