De Zwitserse schrijver Martin Suter werd geboren op 29 februari 1948 in Zürich. Zie ook alle tags voor Martin Suter op dit blog.
Uit: Der Koch
“Auf dem kurzen Weg von der Tramstation bis zur Theodorstraße 94 wurde Andrea von einem Junkie angebettelt, von einem Dealer angehauen und von einem Autofahrer angemacht. Für den Rückweg würde sie ein Taxi bestellen, auch wenn es früh am Abend war. Und es würde früh sein, das hatte sie sich fest vorgenommen. Gleich beim Betreten seiner Wohnung würde sie sagen, sie wäre beinahe nicht gekommen, so krank fühle sie sich. Im Treppenhaus roch es, wie es eben in Mietshäusern riecht um diese Zeit. Nur nicht nach Hackbraten, sondern nach Curry. Im ersten Stock standen zwei Tamilinnen in ihren halboenen Wohnungstüren und schwatzten. Im dritten wartete ein kleiner Junge auf dem Treppenabsatz und verschwand enttäuscht in der Wohnung, als er Andrea sah. Maravan erwartete sie vor seiner Wohnungstür. Er trug ein buntes Hemd und eine dunkle Hose, war frisch rasiert und frisch geduscht, gab ihr seine lange schmale Hand und sagte: »Willkommen in Maravans Curry Palace.« Er führte sie herein, nahm ihr den Wein ab und half ihr aus dem Mantel. Überall brannten Kerzen, nur da und dort sorgten ein paar Spots für eine etwas nüchterne Beleuchtung. »Die Wohnung erträgt nicht viel Licht«, erklärte er in seinem Schweizerhochdeutsch mit tamilischem Zungenschlag. Auf dem Wohnzimmerboden, keine zwanzig Zentimeter erhöht, war ein Tisch für zwei Personen gedeckt. Kissen und Tücher dienten als Sitzgelegenheit. An der Wand stand ein Hausaltar mit einer brennenden Deepam. In dessen Zentrum die Statue einer vierarmigen Göttin, die in einer Lotusblüte saß. »Lakshmi«, sagte Maravan mit einer Handbewegung, als stelle er einen weiteren Gast vor. »Weshalb hat sie vier Arme?« »Dharma, Kama, Artha und Moksha. Rechtschaenheit, Lust, Wohlstand und Erlösung.”
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